Lautes Kläffen, leise Annäherung

Metallerstreik: BMW schickt in Bayern 10.000 Leute nach Hause. Vorsichtige Bewegung an der Tariffront: IG Metall erwägt,die Verkürzung der Arbeitszeit mit der Wirtschaftslage des Betriebes zu verknüpfen. Kein konkreter Termin für Verhandlungen

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Von den Auswirkungen des mehr als dreiwöchigen Metallerstreiks in Ostdeutschland waren gestern erstmals auch westdeutsche Betriebe massiv betroffen. Die Produktion der 3er-Reihe im BMW-Hauptwerk München und in Regensburg kam wegen fehlender Getriebeteile aus der ZF Getriebe GmbH Brandenburg zum Erliegen.

BMW-Konzernsprecher Linus Schmäkel beziffert den täglichen Ausfall auf insgesamt 1.650 Fahrzeuge. 10.000 Mitarbeiter durften zur Frühschicht zu Hause bleiben. Für sie ist Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 Prozent des Nettoverdienstes beantragt und von der Bundesanstalt für Arbeit auch genehmigt worden.

Ein Drittel der Belegschaft hat im Brandenburger Getriebewerk inzwischen die Arbeit wieder aufgenommen. Ein Wiederanfahren der BMW-Produktion in Bayern ist aber erst mit zwei bis drei Tagen Verzögerung möglich.

Nach Einschätzung von BMW-Sprecher Schmäkel ist die Stimmung in der Belegschaft geteilt. Stimmen aus der Belegschaft bestätigen dies. Während manche gern an den Badesee oder zur Kirschernte in den Garten ausweichen, verstehen andere die Streiks angesichts des Leipziger Engagements von BMW nicht. Sprecherin Barbara Grimm vom Volkswagen-Gesamtbetriebsrat betont, dass man den VW-Mitarbeitern stets auch ihre eigene Betroffenheit klarmache. Unterliege die IG Metall im Osten, könnten auch im Westen Errungenschaften wie die 35-Stunden-Woche leicht zurückgedreht werden. Nach ihrem Eindruck wird dies auch weitgehend solidarisch verstanden. Bei VW in Wolfsburg droht nach Angaben eines Konzernsprechers ab Freitag ein Stillstand der Produktion für den Golf und Lupo.

Die Arbeitgeberseite hat unterdessen den Druck auf die IG Metall weiter verschärft. Bernd Gottschalk, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, sprach von einer „Anti-Investitions-Kampagne mit Langzeitwirkung gegen den Osten“. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU) bestätigte, dass ein nicht näher genannter Automobilzulieferer aus den USA seine Ansiedlungsabsicht in Sachsen storniert habe. Nach BMW „überdenkt“ einem Bericht der Tageszeitung Die Welt zufolge nun auch der Technologiekonzern Siemens sein Engagement in Ostdeutschland.

Nach Kanzler Schröder hatte sich am Wochenende mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) ein weiterer hochrangiger Politiker in den Tarifkonflikt eingemischt. Er unterstellte den überwiegend westdeutschen Gewerkschaftsfunktionären, sie hätten den Streik im Osten nur angezettelt, um hier Arbeitsplätze und damit Ost-Konkurrenz zu beseitigen. Milbradts Äußerungen wurden nicht nur bei der sächsischen Opposition mit beißender Kritik, sondern auch beispielsweise bei BMW mit Kopfschütteln quittiert. IG-Metall-Vorstandssprecher Claus Eilrich buchte die scharfen Töne unter „übliche Begleitmusik zu Tarifrunden“ ab.

Gestern trafen sich in Frankfurt die Betriebsräte deutscher Automobilhersteller bei der IG Metall. Über Ergebnisse war zum Redaktionsschluss noch nichts bekannt. Eilrich sagte, es gebe ein Interesse beider Seiten an der Rückkehr zum Verhandlungstisch. Die Gewerkschaft habe deshalb die Streiks nicht ausgeweitet.

Die beiden IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel und sein Stellvertreter Jürgen Peters hatten die Arbeitgeber bis Mittwoch zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgefordert. Peters bot sogar über den Stufenplan hinaus „unterschiedliche Geschwindigkeiten“ der Arbeitszeitverkürzung je nach Betriebslage an.

Sowohl der Bundesverband Gesamtmetall als auch der sächsische VSME nannten jedoch ein Ende der Streiks als Vorbedingung für Verhandlungen. Konkrete Termine waren noch nicht in Sicht. Arbeitgeber sowie Gewerkschaft beurteilen die Option einer Schlichtung beispielsweise durch den ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf skeptisch.