Fernsehen wieder unter einem Dach

Die russische Regierung schaltet den letzten privaten russischen Fernsehkanal TWS ab. Wahlen stehen bevor

MOSKAU taz ■ Das Kapitel des privaten staatsunabhängigen Fernsehens gehört im vierten Amtsjahr Präsident Wladimir Putins in Russland nun endgültig der Geschichte an. Punkt Mitternacht am Sonnabend unterbrach das Presseministerium den Spätfilm des Privatsenders TWS ohne Vorankündigung. Es folgte ein Testbild, und kurz darauf übernahm der neue Anbieter, der staatliche Sportkanal, mit der Übertragung eines aufgezeichneten Fußballspiels die Staffel. TWS wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ausgeschaltet, ohne den Journalisten die Möglichkeit zu geben, sich von den Zuschauern zu verabschieden.

Dass dem Sender das Aus drohte, war seit längerem klar. Anfang Juni wurde TWS aus dem Moskauer Kabelnetz verbannt, weil er angeblich Schulden in Höhe von acht Millionen Dollar nicht beglichen hatte. Am Wochenende verschwand TWS auch in den übrigen 24 Regionen aus dem Äther. Wie in solchen Fällen in Russland inzwischen üblich, werden von offizieller Seite finanzielle Schwierigkeiten als Grund der Stilllegung oder des Lizenzentzuges genannt. Selbstverständlich ist das nur ein Teil der Wahrheit.

TWS war im vergangenen Jahr als Kompromiss von kapitalträchtigen Geschäftsleuten und einflussreichen Honoratioren gegründet worden. Als Hauptaktionäre traten der Aluminium-Oligarch Deripaska, der Chef des Energiemonopolisten RAO EES und ehemalige Vorzeigereformer Anatoli Tschubais auf. Nachdem bereits die Privatsender NTW und TW6 im letzten und vorletzten Jahr staatlicher Intervention zum Opfer gefallen waren, sollte „Media Sozium“ als Betreiber von TWS den Versuch darstellen, plurale Interessen unter einem unabhängigen Dach zu vereinen.

Der Ansatz schlug fehl. Die Gruppe um Deripaska wollte den Kanal kommerzialisieren, Anatoli Tschubais hielt am politisch aufklärerischen Konzept fest, das auf Dauer wenig Profit versprach. Beide Hauptaktionäre kamen in den letzten Monaten ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nach und stritten sich um die Übernahmerechte. Für Montag hatte das technische Personal, das seit drei Monaten keinen Lohn mehr erhalten hatte, Streik angekündigt. Verschiedene Konfliktlinien laufen in der Auseinandersetzung parallel und erleichtern es dem Kreml, die letztlich politischen Motive zu verbergen.

Denn dass der Kreml an einer unabhängigen und kritischen Berichterstattung vor den Parlamentswahlen im Dezember und dem im März folgenden Präsidentschaftswahlgang kein Interesse hat, liegt auf der Hand. Es sagt eine Menge über die wahre Stärke des Kremlchefs aus, dem in Umfragen immerhin noch drei Viertel der Bevölkerung ihr Vertrauen aussprechen. In Putins Russland generiert das Fernsehen eine virtuelle Stabilität und garantiert sie gleichzeitig. 75 Prozent der Russen informieren sich ausschließlich über das elektronische Medium. Überregionale Tageszeitungen erreichen nur eine Minderheit in den großen Zentren.

Mit welchem Zynismus die Verantwortlichen den Eingriff in die Pressevielfalt vornahmen, dokumentiert der Kommentar des Presseministers Michail Lessin: Die Entwicklung von Leibeskultur gehöre zu den wichtigen derzeitigen innenpolitischen Aufgaben, die „Propagierung einer gesunden Lebensweise“ mache aber nur Sinn, wenn dies über einen Kanal mit großer Reichweite geschehe. Weder hat eine Ausschreibung der Lizenzvergabe stattgefunden, noch ist die Einstellung des Sendebetriebes rechtlich abgesichert worden. Allerdings hatte sich das Ministerium von Anfang an ein Hintertürchen offen gehalten und die Lizenzvergabe an TWS mit dem Vermerk „vorübergehend“ versehen.

KLAUS-HELGE DONATH