Ein Schauprozess für Mickey Mouse

Im „Mausoleum Buffo“ sind die Toten ziemlich lebendig: Der Totenkult um Lenin und Stalin und das Ende der Utopien sind zwei Seiten einer Medaille in dem launigen Trauerlied, das andcompany&Co. im HAU 2 anstimmen

Es steht ein Walross auf dem Roten Platz. Mit einem großen Eierkopf und einem goldenen Bart. Es ist Josef Stalin, der Führer der Weltrevolution, der zum Diktator wurde, an seiner Seite schüttelt Lenin den graubärtigen Schädel. Wenn diese Eierkopfversammlung mit Humpty-Dumpty-Masken nun die Bühne des HAU 2 bevölkert und vor einem schiefen Mausoleum unter einem rot leuchtenden Stern kommunistische Gespenster beschwört werden, kann dies nur eine Inszenierung von andcompany&Co. sein.

Das Umschlagen des kommunistischen Traums in den Terror hat sich das Performancekollektiv im dritten Teil seiner Trilogie vom Ende des Kommunismus vorgenommen. Der Trilogie erster Teil, „little red (herstory)“, unternahm eine Zeitreise zum Mauerfall, der zweite Teil „time republic“ verfolgte das Wettrüsten des Kalten Krieges. „Mausoleum Buffo“ nun ist ein Trauertanz um die Opfer des stalinistischen Terrors – und zugleich ein Traumkabinett, in dem Fliegenpilze a cappella singen und Rosa Luxemburgs Pappmaske mit den Augen rollt.

Dass hier vieles aussieht, als hätte man Alices’ Wunderland durch einen kaleidoskopischen Fleischwolf gedreht, hat Methode. Erinnerungsarbeit wird mit den Mitteln des Märchens angepackt. So erzählt Nicola Nord von einem träumenden Männchen, das alt und jung zugleich ist, und meint den einbalsamierten Lenin im Mausoleum an der Kremlmauer. Die großäugige Sprache verstärkt das utopische Moment, ohne es ins Lächerliche kippen zu lassen.

Dazu läuten Gongs, Xylofone und Pauken Tänze und Trauermärsche ein. Die Musik von Sascha Sulimma, diesmal live produziert, nimmt bei andcompany&Co. immer eine wichtige Stelle ein, die die Performances rhythmisiert und überraschende Kontexte eröffnet.

Im Text wird das Märchen über Lenin mit Zitaten von Marx bis zu Elvis und John Lennon zusammengebracht. Eine launige Expertenrunde streitet über Lenins Leiche und die Stellung Stalins in der Weltgeschichte und lässt dabei eine Pappglühbirne von Stirn zu Stirn wandern: „Jetzt ist dir endlich auch mal ein Licht aufgegangen!“ Schmerz und Komik pflegen eine enge Nachbarschaft. Das Kippen ins Humorige, ins Fantastische und Phantasmatische gehört zum Programm, um an die kollektive Verrückung der Wahrnehmung zu erinnern, als der unbedingte Fortschrittswille Stalins innerhalb kurzer Zeit die Sowjetunion von einem Entwicklungsland in ein Industrieland verwandelte.

Der Propaganda der Sowjetunion werden dabei, wie in der späteren Sozart, kapitalistische Bilderwelten an die Seite gestellt. Zum Beispiel dann, wenn die Moskauer Schauprozesse mit Walt Disney kurzgeschlossen werden: In einem toll gewordenen Mickey-Mouse-Club entblößt der Performer Alexander Karschnia als sadistische Obermaus den Irrglauben seiner Bühnengenossen, die nacheinander auf einem Klapphocker Platz nehmen. Die aus Kasachstan stammende Vettka Kirillova muss sich anhören, dass sie glaubte, Lenin sei ihr Großvater, während der US-Amerikaner Thomas Myrmel dachte, Englisch sei eine universale Sprache. Das ist eine fiese kleine Beichtshow, die den Glauben an eine Idee zur politischen Leitfrage erklärt. Und ihn am Rande des Vergessens situiert: Denn später stimmen die vier Performer einen proletarischen Grabgesang an, „Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin“, und lassen dabei vier Glühbirnen rhythmisch aufflackern und verlöschen. Dieses starke Bild wird zu einem Kommentar auf eine selektive Geschichtsschreibung, die festlegt, welche Namen erinnert werden werden und welche vergessen.

So führen andcompany&Co. ihr dreiteiliges Lied vom Ende des Kommunismus unglaublich witzig und irrsinnstraurig zugleich zu Ende. Im Raum stehen bleibt die Frage: Was ist übrig geblieben von der großen Utopie des letzten Jahrhunderts? Und an welche politische Idee glaubt die Performancegruppe selbst? Die letzten Worte des Abends stammen von Marx, der den Sieg jener voraussagt, die „zuletzt dran glauben“. Nach diesem Gespensterreigen klingt die Doppelzüngigkeit des „Dranglaubens“ noch sehr lange nach.

ESTHER BOLDT

9. bis 11. Januar im HAU 2, 20 Uhr