Berlin ist orange

Jahrelang machte die österreichische Medienkünstlerin Waltraut Cooper Lobbyarbeit für ein Projekt, bei dem sie historische Gebäude in mehreren Ländern Europas in den Regenbogenfarben leuchten lassen wollte. Pünktlich zur Erweiterung der EU hat sie es geschafft. Das Brandenburger Tor ist mit dabei

VON WALTRAUD SCHWAB

Das Brandenburger Tor erstrahlt ein paar Nächte lang in tiefem Orange. Der warme Farbton hebt die Torbögen von den weiß beleuchteten Seitengebäuden wohltuend ab. „Schön sieht’s aus“, sagen zwei süddeutsche Touristen, die jedes Jahr einmal Berlin besuchen, um die Veränderungen in der Hauptstadt zu verfolgen. Warum das Tor orange daherkommt, das erschließt sich ihnen allerdings nicht.

Dass Künstler oder Wirtschaftsunternehmen auf dem Berliner Wahrzeichen gern ihren Fingerabdruck hinterlassen, ist bekannt. So auch die österreichische Medienkünstlerin Waltraut Cooper. Die Farbe Orange, in der das Tor bis zum 10. Mai leuchtet, geht auf ihre Initiative zurück. Denn in jahrelanger Lobbyarbeit ist es ihr gelungen, einen Regenbogen über Europa zu legen. Symbolisch zwar und nur exemplarisch an einzelnen öffentlichen Bauwerken, aber passend zur EU-Erweiterung, meint sie. Mit ihrer Aktion zwingt sie die sechs beteiligten Länder, sich auf höchster Ebene zu koordinieren, um dem kurzzeitigen Lichtphänomen auch Tragkraft in der Realität zu verleihen.

In sechs europäischen Städten wird je ein wichtiges historisches Gebäude in einer Farbe des Regenbogenspektrums angestrahlt: rot-orange-gelb-grün-blau-violett. Dabei ist Waltraut Cooper bei der Wahl der Bauwerke durchaus eigenwillig vorgegangen, denn sie wollte Mitgliedsländer, Beitrittsländer und Nicht-Mitgliedsländer bei ihrer Aktion vereint wissen.

Mit dem rot beleuchteten Königsschloss in Warschau beginnt sie den Reigen. Das Brandenburger Tor, als Symbol für die ehemalige Spaltung des Kontinents, bekommt die zweite Farbe des Spektrums. In Rom strahlt das Kolosseum in Gelb. Für Cooper ist es ein Gebäude, das den langen Weg von der Barbarei zur Demokratie symbolisiert. In Wien, das aus Sicht der Österreicherin im Zentrum Europas liegt, erstrahlt das Kunsthistorische Museum in Grün. Das Europaparlament in Brüssel, Schaltzentrale einer Vereinigungsidee, leuchtet blau. In Moskau aber ist die Christ-Erlöser-Kathedrale violett angestrahlt. Russland, so Cooper, darf durch die erweiterte EU nicht jenseits von Europa gedacht werden.

Der Regenbogen als Zeichen der Verbundenheit, aber auch als eines, das eine Synthese aus sich gegenüberstehenden Aspekten wie Regen und Sonne schafft, haben es Cooper angetan. Für sie ist es ein Friedenszeichen. Seit vielen Jahren arbeitet die renommierte Künstlerin, die bereits mehrere Male auf der Biennale in Venedig vertreten war, mit Spektralfarbverläufen.

Studiert hat Cooper Mathematik in Wien und Paris. Später hat sie zusätzlich ein Studium der Malerei und Grafik in Lissabon und Frankfurt absolviert. Seit 1970 ist sie weltweit mit Ausstellungen vertreten.

Ihre ersten Werke betonen eine grafische Umsetzung von Licht, das, als Antipode von Schatten, eine gewisse Unberechenbarkeit erhält. Noch sind es flächige Arbeiten, bei denen immer gleiche Quadrate durch kleine Abweichungen in der Anordnung zeigen, dass selbst im Gleichen ein Ungleiches möglich sein kann.

Ab Ende der Siebzigerjahre werden Coopers Arbeiten dreidimensional. Sie unterteilt Räume mit Schnüren, trennt ab, verbindet, verwebt, durchbricht und ordnet. Die Schnurskulpturen sind im Grunde die Vorläufer von Lichtstrahlen, derer sie sich ab den Achtzigerjahren bedient. Um durch Licht Wirkung zu erzielen, muss sie in großen Dimensionen denken. Neonröhren werden nun ihre Striche, Häuserfassaden ihre Leinwände, das Prisma wird ihre Palette. Sie hat ganze Gebäude mit computergesteuertem Licht und Klanginstallationen bespielt. Treppen zu Lichtorgeln verfremdet, Bewegung in Licht aufgelöst und Klang in beleuchtete Farbe. Bei ihren hochtechnischen Installationen werden die Zuschauer mitunter zu interaktiven MitspielerInnen, die Lichterregungen erst auslösen.

Spricht Cooper selbst über ihre Arbeiten, wird aus der konkreten Bedeutung einer Lichtskulptur schnell eine übertragene. „Ich will etwas ins Licht setzen“, sagt sie. Oder: „Ich will etwas beleuchten.“ Nicht ein Objekt, sondern eine Idee. Dabei versteht sie sich als eine, die nach vorne denkt. Ganz Mathematikerin, sagt sie: „Ich will mein Augenmerk auf Lösungen richten. Es hilft mehr, wenn die Leute erfahren, wie sie eine Situation bewältigen, anstatt dass ihnen gesagt wird, was schuld ist an einer Situation.“

In diesem Sinne soll auch der Regenbogen als eine politisch-symbolische Utopie, als „Vision für ein friedliches, vereintes Europa“ verstanden werden. „Man muss schauen, wie man zusammenarbeitet, wie man eine Verbindung schafft zwischen Zeiten, Orten und Menschen“, sagt Cooper. Sie hat vorgemacht, dass dies eine schwierige Aufgabe ist. Seit Jahren reist sie durch die europäischen Metropolen, um für ihre Aktion zu werben. Von ihrem ursprünglichen Konzept, das den ganzen Kontinent in Farbzonen aufteilte, ist sie längst entfernt. Alle Kommunen hätten diesem zufolge ihre öffentlichen Gebäude in der ihrer Zone entsprechenden Farbe angestrahlt. Westdeutschland wäre in den gelben Bereich gefallen, zusammen mit Dänemark, Schweden, den Beneluxländern, der Schweiz, dem westlichen Italien. Ostdeutschland aber wäre in die grüne Zone gefallen wie auch Teile Skandinaviens, Westpolen, die Balkanstaaten, das östliche Italien und Westgriechenland. Von einem Satelliten aus, meint Cooper, wäre der Regenbogen erkennbar gewesen.

Der Rückzieher der Künstlerin aus dem großen Konzept bedeutet jedoch nicht, dass sie nun, da sie einen europäischen Regenbogen realisiert hat, aufhören will. Denn der Friedensgedanke soll keiner sein, der – wenn auch nur symbolisch – lediglich auf einem Kontinent verwirklicht ist. Wie Utopien, so kennt auch Konzeptkunst keine Grenzen. Bis 2010 will Cooper Lobbyarbeit für einen Regenbogen machen, der die ganze Welt umspannt. Ein hehres Ziel.

Heute Nacht besichtigen die Bürgermeister von Berlin, Warschau, Budapest und Prag sowie die Künstlerin das beleuchtete Brandenburger Tor