Architektur mit Halbwertzeit

Mit temporären Bauwerken wollen nordrhein-westfälische Architekturstudenten die Diskussion über die Stadtgestaltung anregen. Der Theatervorplatz in Düsseldorf bekommt im Herbst einen neuen Look. Andere Orte im Land werden folgen

VON HOLGER ELFES

„Ob es funktionieren wird, weiß ich nicht“, Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin blieb noch etwas skeptisch. In der Kunsthalle am Grabbeplatz eröffnete der OB am vergangenen Freitag das Projekt „Temporäre Architektur“. Dem Gustaf-Gründgens-Platz vor dem Schauspielhaus der Landeshauptstadt soll dann im Herbst für ein paar Wochen ein neues Aussehen verliehen werden.

Ein Versuch mit offenem Ergebnis. Angeregt vom NRW-Städtebauministerium sollen mit den provisorischen Bauten neue Potenziale ausgelotet und Diskussionen angeregt werden. Düsseldorf macht in diesem Jahr bei der „Platz Da!“-Initiative den Auftakt.

Im Prinzip ist das keine ganz neue Idee, denn schon der Aufbau von Weihnachtsmärkten ist Architektur auf Zeit. „Bei Großveranstaltungen wie der Expo werden riesige Flächen für eine begrenzte Zeit mit architektonisch anspruchsvollen Pavillons bebaut“, erläutert Ministeriums-Mitarbeiter Ulrich Hatzfeld. Ostdeutsche Städte, die wie Leipzig über große Baulücken und Leerstände verfügen, experimentieren schon seit längerem mit dieser Art des Bauens.

Dass die Probleme des Ostens auch auf den Westen zukommen, ist für Experten längst ausgemachte Sache: Das Ruhrgebiet etwa ist schon jetzt vom massiven Bevölkerungsschwund betroffen. „In Städten wie Essen müssen wir uns auf einen dramatischen Bevölkerungsrückgang von mehr als zehn Prozent in nur 15 Jahren einstellen – mit dramatischen Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt“, prophezeit beispielsweise Volker Eichener, Leiter des Instituts für Wohnungswesen und Stadtentwicklung (InWIS) an der Ruhr-Universität Bochum. Der führende Experte für Wohnungswirtschaft sieht düstere Wolken am Horizont: „Bis 2020 haben wir in Essen mit 24.000 leer stehenden Wohnungen zu rechnen, das sind 20 Prozent des Bestandes.“ Dass die Wahl für das Experiment zunächst trotzdem auf Düsseldorf fiel, hat mit den geplanten Baumaßnahmen im Rahmen des „Kö-Bogen“-Projekts zu tun – die Wissenschaft soll‘s nun richten.

In den nächsten Wochen werden Studenten von der RWTH Aachen, der Universität Dortmund und den Fachhochschulen Düsseldorf und Münster zunächst Entwürfe ausarbeiten, die im Juni von einer Jury bewertet werden. Ab dem 10. September wird ein Entwurf für sechs Wochen realisiert. „Bauen auf Zeit bietet die Chance, städtische Räume in ein neues Licht zu setzen und damit stärker ins Bewusstsein der Menschen zu rücken“, erklärt Städtebauminister Michael Vesper. „Es ist die Gewissheit des Wiederverschwindens, die temporäre Architektur prinzipiell auszeichnet“, so Kunibert Wachten von der RWTH Aachen. „Sie repräsentiert andere Ansprüche und Werte und muss nicht in Konkurrenz treten mit Ikonen historischen Charakters“.

Die beteiligten Hochschulen versprechen sich von dem Projekt Praxiserfahrung für ihre Studenten. Zum ersten Mal müssen sie ein Objekt vom Entwurf über die Kostenschätzung bis zur Realisierung begleiten. Zudem soll die Kooperation der Hochschulen gefördert werden: Jedes Jahr soll es in einer anderen Stadt in NRW unter Beteiligung anderer Hochschulen wiederholt werden.

Zum Auftakt in Düsseldorf berichteten Künstler, Landschaftsplaner und Architekten von ihren Erfahrungen mit temporärer Architektur. Andreas Kaiser etwa experimentiert in Mönchengladbach mit Denkmälern auf Zeit, die auf ein verschollenes Kriegerdenkmal verweisen. Mariette Dölle betreut ein „temporäres Dorf“ beim Wohnsiedlungsprojekt „Leidsche Rijn“ in Utrecht. Wo demnächst 90.000 Neubürger siedeln werden, nutzt man Freiflächen, um eine Siedlung von 25 architektonisch-experimentellen Gebäuden zu errichten.

„Das Projekt gibt uns die Möglichkeit, mit den Bürgern neu über Aussehen und Funktion des Platzes nachzudenken“, wünscht sich OB Erwin. Der bürgerlichen Begeisterung scheint man im Planungsamt angesichts leerer Kassen nicht ganz zu trauen. Gegenüber der taz wollte Projektleiterin Heike Schwalm keinerlei Aussagen über den Kostenrahmen machen. Nur soviel: 70 Prozent trägt das Land, 20 Prozent die Stadt und 10 Prozent die beteiligten Hochschulen.