Carte blanche für den Präsidenten

Die Tadschiken sind am Sonntag zu einem Referendum aufgerufen. Sie sollen ihrem Staatschef eine Wiederwahl ermöglichen. Der hat das Land ohnehin schon fest im Griff

In Tadschikistan ist fast jedes zweite Kind unter fünf Jahren unterernährt

TASCHKENT taz ■ Seit Wochen kursiert in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe ein Flugblatt. Darin warnen die „Kommandeure der Vereinigten Opposition“ die Parlamentsabgeordneten des Landes: „Wir wissen, sollte es euch auch diesmal gelingen, Rachmonow zum Präsidenten zu ernennen, so erwarten unsere Kinder und unsere Enkel ein hoffnungsloses Leben und Sklaverei. Solltet ihr nicht einhalten, so verfügen wir über alle eure Adressen …“

Hintergrund des Flugblatts ist eine Verfassungsänderung, die das Parlament passiert hat, und die am kommenden Sonntag den Tadschiken zur Abstimmung vorgelegt wird. Die Änderung ermöglicht es dem Präsidenten, sich zur Wiederwahl zu stellen. Da niemand davon ausgeht, dass das Referendum abgelehnt wird, kann Amtsinhaber Emomali Rachmonow 2006 zur Wahl antreten.

Die unverhohlene Drohung des Flugblattes war eine Erinnerung an die alte Zeit des Bürgerkriegs in Tadschikistan. Doch sie stieß ins Leere. Das zeigt, dass Präsident Rachmonow das Land fest unter Kontrolle hat und es – wie seine Amtskollegen in den Nachbarländern – nicht daraus zu entlassen gedenkt.

Dabei galt Tadschikistan vor nicht allzu langer Zeit noch als Land, von dem aus der radikale Islamismus ganz Zentralasien bedrohte. Schon ein paar Monate nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion musste der exkommunistische Staatschef abtreten. Durch einen Staatstreich kam der Neokommunist Rachmonow an die Macht. Er vertrieb damit eine Koalition der Partei der Islamischen Wiedergeburt (IRP) und einigen neu gegründeten Oppositionsparteien von der Regierung.

Die IRP hatte die größte Unterstützung in der Bevölkerung, denn in Tadschikistan, wo ein persischer Dialekt gesprochen wird, erlebte der Islam nach der Unabhängigkeit eine rasante Renaissance. Von 1992 an kämpften die hinter Rachmonows Regierung versammelten Clan-Fraktionen gegen die von der IRP angeführten Opposition um die Macht. Erst 1997 schlossen die Kriegsparteien ein Friedensabkommen. Die IRP wurde in die Regierung aufgenommen, ist von Rachmonow aber inzwischen so marginalisiert, dass sie, wie die anderen Oppositionsparteien, das Referendum nur halbherzig kritisiert hat. Dass Tadschikistan trotzdem noch kein ganz „normales“ Land geworden ist, liegt vor allem daran, dass der Zusammenbruch der Wirtschaft dort nach der Unabhängigkeit noch radikaler war als in den Nachbarländern. Der Umfang des Staatsbudgets von 2002 ist auf ein Zehntel dessen von 1990 geschrumpft. Und Tadschikistan gehört zu den 20 ärmsten Ländern der Welt. Nach UNO-Angaben leben dort 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, eine Million Menschen – also fast jeder Sechste – ist auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, und fast jedes zweite Kind unter fünf Jahren ist chronisch unterernährt.

Zu leiden hat Tadschikistan außerdem unter dem Drogenhandel aus Afghanistan, mit dem es eine mehr als 1.500 Kilometer lange Grenze verbindet. 85 Prozent aller Drogen in Zentralasien werden in Tadschikistan sichergestellt. 2002 waren es mehr als sieben Tonnen mit einem Straßenverkaufswert von 1,4 Milliarden US-Dollar, oder dem Siebenfachen der jährlichen Staatsausgaben des Landes – der Löwenanteil davon Heroin. In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat sich die beschlagnahmte Menge im Vergleich zu 2002 noch einmal verdoppelt.

PETER BÖHM