Ein Hutu-Tutsi-Wahlkampf droht in Ruanda

Ruandas ehemaliger Premier Twagiramungu will bei den kommenden Wahlen gegen Präsident Kagame antreten

BRÜSSEL taz ■ Ruandas Politik kommt in Bewegung. Der frühere Premierminister Faustin Twagiramungu, der vor fast acht Jahren ins belgische Exil gegangen war, hat für heute seine Rückkehr nach Ruanda angekündigt, um bei der in diesem Jahr erwarteten Präsidentschaftswahl gegen Paul Kagame zu kandidieren. Der prominenteste Hutu-Politiker Ruandas gegen den mächtigsten Tutsi – die Konstellation verspricht, spannend zu werden.

„Rukokoma“ – Erdrutsch – war der Spitzname des heute 58-jährigen Twagiramungu, als er bei der Einführung des Mehrparteiensystems in Ruanda 1992 die Führung der Hutu-dominierten Partei MDR (Demokratische Republikanische Bewegung) übernahm. Die MDR hatte Ruanda nach der Unabhängigkeit 1962 bis zu ihrer Auflösung durch Diktator Juvénal Habyarimana regiert, und den Erdrutsch versprach Twagiramungu, als in den 90er-Jahren eine politische Öffnung einsetzte. Es kam anders: Hutu-Extremisten organisierten 1994 den Völkermord an Ruandas Tutsi. Die Tutsi-dominierte Guerillabewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) besiegte das für den Völkermord verantwortliche Regime im Sommer 1994 und bildete eine Übergangsregierung mit Twagiramungu als Premierminister. Aber Twagiramungu zerstritt sich mit der RPF wegen Menschenrechtsverletzungen; Ende August 1995 trat er zurück.

Heute nennt Twagiramungu sein politisches Programm die Wiederherstellung der politischen Freiheiten. Ruanda sei auch jetzt noch eine „verschleierte Diktatur“, sagte Twagiramungu in Brüssel auf der Pressekonferenz, bei der er seine Heimkehr ankündigte.

Er dürfte es nicht leicht haben. Seine Partei MDR wird voraussichtlich demnächst verboten – ein Parlamentsausschuss hat vor dem Obersten Gericht ein Verbotsverfahren beantragt, weil die Partei die Ideologie des Völkermordes nicht abgelegt habe – in Ruandas neuer Verfassung gelten für Parteien ideologische und organisatorische Beschränkungen. Nach Regierungsüberzeugung bleibt die ideologische Basis der MDR das „Hutu-Manifest“ von 1957, das wenig später als Grundlage für den Sturz der damaligen Tutsi-Monarchie und für die Vertreibung zahlreicher Tutsi diente. Das Manifest nennt Ruandas Tutsi Vertreter einer „Kolonialherrschaft“. Zwar hat sich Twagiramungu schon immer von diesem Denken distanziert. Aber Autor des Manifests, auf das sich auch die Völkermörder von 1994 beriefen, war Gregoire Kayibanda, Präsident von Ruanda 1962–1973 und Twagiramungus Schwiegervater.

Obwohl unklar bleibt, ob die MDR von heute mit der des „Hutu-Manifests“ noch viel zu tun hat, ist als Ergebnis dennoch festzustellen, dass die Partei jetzt keinen effektiven Wahlkampf führen kann. Angesichts dessen erwägt Twagiramungu, als Unabhängiger anzutreten oder eine neue Partei zu gründen. „Ich denke, es gibt Wege, sich zu organisieren, auch wenn wir nicht mit der Basis reden können“, sagte er der taz. „Mein Land ist nicht so groß wie der Kongo. Man kann durch Anwesenheit überzeugen.“

Theoretisch dürfte Twagiramungu gute Chancen haben, weil die Mehrheit der Ruander Hutu sind. Aber er ist nicht der Einzige im Rennen. Der gegenwärtige Premierminister Bernard Makuza, ebenfalls MDR-Mitglied, erwägt die Gründung einer eigenen Partei. Antreten will auch Jean Népomucène Nayinzira, ehemaliger Führer der „Demokratischen Zentrumspartei“ (PDC). Damit gibt es schon drei mögliche Hutu-Gegenkandidaten zu Kagame. Die zahlreichen ruandischen Exilparteien, von denen einige den Tätern des Völkermordes nahestehen, unterstützen Twagiramungu nicht.

Es gibt noch andere Faktoren, die Kagame begünstigen und Twagiramungu benachteiligen. Von den leidvollen Erfahrungen der 90er-Jahren geprägt, als die Einführung des Mehrparteiensystems direkt in den Völkermord führte, neigt Ruandas Landbevölkerung dazu, politischen Pluralismus mit Unordnung gleichzusetzen. Die RPF wird heute als wenig beliebter, aber berechenbarer Garant von Ruhe gesehen.

Unabhängig davon hängt weiterhin über jedem Politiker, der Präsident Kagame herausfordert, das Damoklesschwert des Völkermordvorwurfs. Es wird schwer sein für Twagiramungu, in wenigen Monaten das Terrain zurückzuerobern, das er in acht Jahren Exil verloren hat.

FRANÇOIS MISSER