Lichtgestalt und Hiobsbote

Wenn er kommt, dann sind vor ihm andere kräftig gescheitert: Detlef Stürmann ist Insolvenzverwalter. Derzeit betreibt er – unter anderem – ein Hotel, eine Schlachterei, ein Theater. Sein Job: Vertrauen gewinnen, Geld auftreiben, Jobs retten

Stürmann muss Vertrauen neu gewinnen. Und nicht nur das der BankenStürmanns Auftritt verkörpert Scheitern, aber er verkörpert auch Neuanfang„Es mussversucht werden, das Waldau irgendwie zu erhalten“

Wie wichtig einer ist, lässt sich durchaus an der Anzahl der Sekretärinnen messen, die ihm vorgeschaltet sind. Bei Detlef Stürmann sind es zwei – und das ist mehr als bei den meisten wichtigen Männern in Bremen. Aber Detlef Stürmann mag es nicht besonders, als „wichtig“ bezeichnet zu werden und er mag es überhaupt nicht, „der wichtigste Insolvenzverwalter in Bremen“ genannt zu werden. „Da würden sich die Kollegen bitterlich beschweren, zu Recht“, sagt er, „und außerdem ist das im Moment Herr von Betterey. Der muss die Lloyd-Werft wieder flott machen.“

Detlef Stürmanns Geschäft ist die Pleite anderer. Er tritt auf den Plan, wenn gar nichts mehr geht. Wenn ein Unternehmen Insolvenz angemeldet hat und sein Schicksal in die Hände des Gerichts gegeben hat. Das Gericht setzt einen Insolvenzverwalter ein, der kommt und kuckt, ob noch was zu retten ist. Detlef Stürmann mag dabei deshalb als so große Nummer in dem Geschäft erscheinen, weil sein Name so oft in der Zeitung steht: In Sachen Beginenhof, in Verbindung mit dem Arbeiterbildungscentrum (ABC) der Arbeitnehmerkammer, dem Dachverband der Ausländerkulturvereine (DAB) – und dem Waldau-Theater. „Der Präsident des Amtsgerichts sucht den Verwalter aus, den er für am besten geeignet hält“, sagt der 49-Jährige.

Stürmanns Palette reicht also vom Frauenprojekt bis zum Theater. In Cuxhaven betreut Stürmann eine Schlachterei. „Und seit eineinhalb Jahren führe ich auch ein Hotel“. In Autos hat er auch schon gemacht. Über 500 Insolvenzen hat der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht sowie Insolvenzrecht schon verwaltet, den Job macht er jetzt rund zehn Jahre.

Wenn Stürmann und seine Leute, Betriebswirte und Rechtsanwälte, anrücken, dann tun sie stets dasselbe: Sie machen eine Bestandsaufnahme. Ist das geschehen, „dann müssen Sie Geld besorgen“, sagt Stürmann, und setzt nach: „Das ist immer so.“ Mit Banken und anderen Geldgebern verhandeln, so im Fall Waldau mit der Kulturmanagement-GmbH, und mit der Agentur für Arbeit. Denn die zahlt das so genannte Insolvenzgeld, eine Fortführung der Löhne und Gehälter für drei Monate. Eigentlich zahlt die Agentur aber erst im Nachhinein, und Stürmann verhandelt, ob sich das Insolvenzgeld nicht vorfinanzieren lässt.

Wenn eine Firma insolvent wird, dann oft deshalb, weil die Geldgeber das Vertrauen in die Führung verloren haben. Stürmann muss dieses Vertrauen neu gewinnen. Und nicht nur das der Banken. Auch das der Arbeitnehmer in dem Unternehmen, für das er verantwortlich ist. „Ohne die Arbeitnehmer geht gar nichts“, hat er erkannt, „die muss man motivieren.“ Die Kunst liege darin, den oft verzweifelten Menschen nahe zu bringen, dass sie weiterarbeiten, auch wenn es keinerlei Garantie für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes gibt. „Ich versuche, den Leuten immer so klar wie möglich die Perspektiven aufzuzeigen.“ Dennoch erfährt der Insolvenzverwalter oft eine Entwicklung, die er „so eine Art Wellenbewegung“ nennt: Steht Stürmann nach einer Pleite auf der Matte, wird er von den Beschäftigten häufig als Lichtgestalt gesehen, als einer, der den Laden saniert, neue Perspektiven eröffnet – und Jobs erhält. Wenn Stürmann dann aber verkündet, dass Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, dann kippt manchmal die Stimmung – gegen ihn.

Und wenn er es ohnehin nur mit einem Ein-Mann-Betrieb oder einem kleinen Unternehmen zu tun hat, dann ist für den oft am Boden zerstörten Unternehmenschef der Insolvenzverwalter „der Ausdruck des endgültigen Scheiterns.“

Wenn Stürmann das erzählt – nach 500 Insolvenzen und mehr – dann schwingt Bedauern mit, auch Verständnis. Aber über allem liegt jene Distanz, die einer wie er braucht, um den Zustand eines Betriebes schonungslos zu erfassen. Wenn Detlef Stürmann erzählt, dann zuckt er öfter mit den Schultern, wortloser Ausdruck eines „Das ist eben so.“

Die Zahlen, die Stürmann und sein Team sichten und bewerten, machen nur den einen Teil aus. Denn Stürmann muss Arbeitsabläufe kennenlernen und herausfinden, an welcher Stelle im Unternehmen es hakt. Buchhaltung, Belegwesen – das sei die Schwachstelle vieler vor allem kleinerer Unternehmen. „Im Blindflug“ seien da viele seiner Kunden unterwegs gewesen, erzählt der Verwalter, nach dem Motto: „Ist doch immer gut gegangen.“

Die Aufgabe eines Insolvenzverwalters ist gesetzlich festgeschrieben: Er soll die Gläubiger befriedigen und nach Möglichkeit den Betrieb erhalten. In rund der Hälfte der Fälle gelinge das, schätzt er.

Stürmanns Auftritt verkörpert Scheitern, aber er verkörpert auch Neuanfang. „Das ist es, was Spaß macht: die Ziele, die gewollt sind, mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen“, erzählt er.

So auch beim Beginenhof, dem Wohn- und Arbeitsprojekt für Frauen in der Neustadt, das, getragen von einer Genossenschaft und 2001 kaum fertiggestellt, Pleite ging. Eines der Projekte, die Stürmann zu den ungewöhnlichen zählte – anfangs zumindest. „Da hatte keiner von uns eine Vorstellung, was da eigentlich passiert.“ Später dann entpuppte sich die Arbeit als „im Grunde eine Art von Bauträgerinsolvenz“. Die Stürmann derzeit erfolgreich managt: den Beginenhof als Frauenprojekt gibt es immer noch, und er soll das bleiben, als was er ins Leben gerufen wurde. „Das Konzept, das schon da ist, ist für den Erhalt das Beste“, sagt Stürmann.

Im Foyer des Unternehmens, in dem Stürmann arbeitet, liegt auf einem kleinen Tisch zwischen wenigen Zeitschriften auch ein Stapel Waldau-Programme. „Das gehört sich schon“, sagt der Insolvenzverwalter, dem für das Theater kurzerhand eingefallen ist, ganze Theater-Abende zu verkaufen und so Geld reinzuholen. Dann sagt Detlef Stürmann einen Satz, der die ganz eigene Mischung von Distanz und Nähe des Insolvenzverwalters zu „seinem“ Unternehmen in sich hat: „Es muss versucht werden“, sagt Detlef Stürmann mit Nachdruck, „das Waldau irgendwie zu erhalten“.

Susanne Gieffers