Rau fordert mehr Zivilcourage

Bundespräsident bedauert, dass Antisemitismus-Konferenz 2004 noch notwendig ist. Spiegel: Mit EU-Osterweiterung wird Kampf gegen Judenfeindlichkeit schwieriger

BERLIN afp/dpa ■ Mit eindringlichen Aufrufen zum Kampf gegen Judenfeindlichkeit und Rassismus begann gestern in Berlin die internationale Antisemitismus-Konferenz. „Niemand darf vor Rassismus, vor Fremdenfeindlichkeit und vor Antisemitismus die Augen verschließen“, sagte Bundespräsident Rau zur Eröffnung der Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Der Bundespräsident forderte im Kampf gegen Fremdenhass und Rassismus mehr Zivilcourage. Mit Blick auf den Nahostkonflikt mahnte Rau zur Differenziertheit. Hinter mancher Kritik an der Politik der israelischen Regierung stecke auch „massiver Antisemitismus“.

Außenminister Fischer (Grüne) bezeichnete den Kampf gegen den Antisemitismus als Einsatz für die Demokratie. Deutschland bekenne sich zu seiner „historischen und moralischen Verantwortung“ für das „monströse Verbrechen“ des Holocaust. Als Ergebnis der Konferenz forderte Fischer, Instrumente zu schaffen, um „antisemitische Übergriffe im OSZE-Raum zu erfassen und zu beobachten“, sowie ein politisches Bekenntnis zu deren Ächtung.

Eine „systematische“ Beobachtung antisemitischer Tendenzen müsse sowohl das rechte Spektrum als auch Islamisten erfassen, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. Für Betroffene mache es „keinen Unterschied“, ob es sich bei antisemitischen Tätern um Islamisten oder gewalttätige Rechtsradikale handele. Spiegel warnte, dass der Kampf gegen Antisemitismus mit der EU-Erweiterung „komplizierter und langwieriger“ werden könnte, weil in vielen neuen EU-Ländern NS-Kollaborationsverbrechen nur „ansatzweise“ aufgearbeitet seien.

Der bulgarische Außenminister und derzeit amtierende OSZE-Vorsitzende Solomon Passy äußerte hingegen die Hoffnung, dass mit der Osterweiterung von EU und Nato der Antisemitismus eingedämmt werden könne.

Israels Botschafter in Deutschland, Schimon Stein, äußerte beim TV-Sender n-tv die Hoffnung, dass am Ende der Konferenz eine Deklaration stehen werde, in der klar zwischen der Nahostpolitik Israels und dem Problem Antisemitismus getrennt werde.

An dem Treffen nehmen mehr als 500 Teilnehmer aus allen 55 OSZE-Staaten teil, unter ihnen Colin Powell. Der US-Außenminister lobte das Bemühen deutscher Politiker und Organisationen um Toleranz zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und religiöser Bekenntnisse. Powell bezeichnete Kritik an Israel als zulässig. Jedoch werde die Grenze überschritten, wenn etwa antisemitische Karikaturen führender israelischer Politiker in Zeitungen veröffentlicht würden. Von Vorurteilen und Intoleranz sei der Weg zur Gewalt nicht weit.

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