Kein Votum für Sterbehilfe

Die Befürworter einer Liberalisierung sind in Europa auf dem Vormarsch, doch die Parlamentarische Versammlung des Europarats vertagte ihre Empfehlung um ein Jahr

FREIBURG taz ■ Der Europarat ist in der Frage der Sterbehilfe tief gespalten. Eine mehrstündige emotionale Debatte endete am Dienstagabend ohne Votum. Für die Befürworter einer Entkriminalisierung ist dies aber durchaus ein erster Erfolg.

Anlass der Diskussion ist ein Bericht des Schweizer Liberalen Dick Marty, der vom Sozialausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats unterstützt wurde. Marty forderte die 45 Staaten des Europarats auf zu überlegen, ob aktive Sterbehilfe tatsächlich immer bestraft werden müsse. Marty will, dass Ärzte das Leben eines Patienten beenden können, wenn dieser den „beständigen, freiwilligen und wohl überlegten Wunsch“ danach äußert. Außerdem sollen Ärzte straflos Beihilfe zum Selbstmord leisten können. „Niemand hat die Pflicht, sein Leben in unerträglichen Schmerzen und Leiden zu Ende zu führen“, argumentierte Marty.

Die aktive Sterbehilfe ist derzeit in fast allen Staaten des Europarats verboten. Allerdings haben die Niederlande und Belgien Ausnahmen zugelassen. Marty sieht darin den richtigen Weg. Er geht davon aus, dass aktive Sterbehilfe auch dort praktiziert wird, wo sie verboten ist, und so eine nicht hinnehmbare Grauzone entsteht. Der Schweizer glaubt, dass Missbrauch letztlich eher verhindert werden kann, wenn es einen legalen Weg zur Sterbehilfe gibt. Passive Sterbehilfe, also das Abschalten medizinischer Apparate auf Wunsch des Sterbenden, ist dagegen schon jetzt erlaubt.

Martys Argumentation war in der Parlamentarischen Versammlung hoch umstritten. So verwies der britische Sozialist David McNamara im Namen des Rechtsausschusses auf Erfahrungen in den Niederlanden, wonach nur 54 Prozent der Sterbehilfefälle ordentlich bei den Behörden gemeldet wurden. „Von verbesserter Kontrolle kann also keine Rede sein“, betonte McNamara. Außerdem habe bei jedem vierten Sterbehilfefall keine ausdrückliche Zustimmung des (meist komatösen) Patienten vorgelegen, vielmehr hätten letztlich Angehörige und Ärzte entschieden.

Bei der Diskussion über Martys Bericht zeigten sich die drei größten Fraktionen uneinig. Die Liberalen sprachen sich für eine Entkriminalisierung aus, die Europäische Volkspartei/Christdemokraten dagegen. Die größte Fraktion, die Sozialisten, hatte keine Fraktionslinie festgelegt. In der Debatte waren die Befürworter einer Liberalisierung knapp in der Minderheit und argumentierten eher defensiv. „Es geht doch nur darum, eine breite gesellschaftliche Diskussion anzustoßen“, betonte etwa der Labour-Abgeordnete Paul Flynn.

Mehrfach war die brisante Debatte bereits verschoben worden, und auch jetzt verzichteten die Parlamentarier auf eine Abstimmung. Sie verwiesen Martys Bericht in die Ausschüsse zurück, in einem Jahr soll das Plenum erneut beraten. Noch 1999 hatte die Parlamentarische Versammlung sich klar für die ausnahmslose Bestrafung der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen. Insbesondere in Deutschland wurde der Vorstoß des Sozialausschusses deshalb als Signal für eine europäische Trendwende aufgenommen. Eine verbindliche europäische Regelung ist allerdings auch von Marty nicht beabsichtigt. CHRISTIAN RATH

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