IM UMGANG MIT DER STERBEHILFE IST DIE POLITIK NOCH UNGEÜBT
: In jedem Land eine eigene Debatte

Vielleicht hätte der Europarat den Antrag von Dick Marty nicht unbedingt in die Ausschüsse zurückverweisen müssen. Immerhin hatte der Schweizer bloß gefordert, Daten und Fakten zur Sterbehilfe zu sammeln und über die Notwendigkeit einer Gesetzgebung in allen Mitgliedsländern des Europarats nachzudenken. Doch ohnehin kann die Debatte um würdevolles Sterben nur in jedem Land einzeln geführt werden. Denn in jeder Gesellschaft sind die Bedingungen dafür verschieden. Das hat sich auch an dem Aufruhr gezeigt, den etwa die niederländischen und belgischen Sterbehilfegesetze in Deutschland verursacht haben.

Wichtig ist hierfür nicht nur das Verhältnis zur Vergangenheit, hierzulande also der legitime und notwendige Verweis auf die Euthanasie-Gesetze des Dritten Reichs. Maßgeblich ist auch, welche Möglichkeiten die Gesundheitssysteme kennen, den Patienten große Schmerzen zu nehmen. Oder wie lange die Ärzte ihre Patienten im Krankenhaus festhalten und unter welchen Bedingungen sie wieder nach Hause können. Oder welchen Druck die schwer kranken Patienten spüren, ihre Angehörigen von den Kosten und Mühen der Betreuung zu entlasten.

Unter den je unterschiedlichen Bedingungen findet die Debatte jedoch überall nach den gleichen Mustern statt. Auf der einen Seite stehen die Missbrauchsfurcht und das verwandte Argument der „slippery slope“, des Abrutschens in ethisches Niemandsland, wo sterben will, wer sich überflüssig fühlt. Auf der anderen Seite steht die Forderung nach einem selbst bestimmten Tod, einem Lebensende, das nicht von Medizinapparaten abhängt.

In Deutschland soll es im Herbst einen Gesetzentwurf zur rechtlichen Absicherung der Patientenverfügung geben. Damit ist auch hierzulande die Debatte um die Sterbehilfe – wohlgemerkt: die passive Sterbehilfe, also das Abschalten der Apparate – endlich im Parlament angekommen. Bislang ist die politische Öffentlichkeit im Umgang mit dem Thema Sterben noch gänzlich ungeübt. Wer laut darüber nachdenkt, ob die Ärzte mit der Entscheidung über Lebenserhaltung allein gelassen werden können, wird mit einem Empörungssturm bestraft. Wie bei allen Fragen, die die Grenzen des Lebens berühren, ist jedoch auch hier jede einseitige Stellungnahme töricht. Am unangemessensten aber wäre es, das Thema Sterbehilfe weiterhin zu tabuisieren. ULRIKE WINKELMANN