Großmaul und Sensibelchen

Spiel um Wahrheit und Lüge: Murat Yeginer macht aus Neil LaButes eher schlichtem „Das Maß der Dinge“, einer Koproduktion des Oldenburgischen Staatstheaters mit dortigen Studenten, einen unterhaltsamen Theaterabend

Adam ist ein schluriger Langzeitstudent, der zum Broterwerb ein Auge darauf hat, dass Galeriebesucher den Kunstwerken nicht zu nahe kommen. Eines Tages aber tritt Evelyn über die Absperrung zu einer Skulptur und in sein Leben, womit wir uns mitten in Neil LaButes Das Maß der Dinge befinden, einem Spiel um Kunst und Künstlichkeit. Vor allem aber mitten drin in einem Spielraum, den Bühnenbildnerin Hyun-Hee-Kim gemeinsam mit Kunststudierenden der Oldenburger Universität als effektvolle Kunst-Welt gestaltet hat: Umgeben von Torsi, Phallusgrafiken und Porträtfotos, sitzt das Publikum beidseitig entlang der schlauchförmigen Galerie „Alte Kegelbahn“, wo oft studentische Arbeiten zu sehen sind.

Die Idee, diese Inszenierung des Oldenburgischen Staatstheaters in Kooperation mit dem Oldenburger Universitäts Theater (OUT) an die Hochschule zu verlegen, erweist sich als rettender Einfall. Kaum denkbar, dass das recht durchsichtige Stück LaButes auf einer gängigen Bühne ähnlich kurzweilig wirken würde. So stark, wie die Namen Adam und Eve(-lyn) mit der Erkenntnis winken, dass es hier um den Verlust von Unschuld gehen wird, so vorhersehbar sind die Verwicklungen, zu denen es mit Adams ehemaligem Schwarm Jenny kommen muss.

Und schon bald zeichnet sich die Katastrophe ab, auf die das Geschehen zusteuert: Welcher aufmerksame Zuschauer würde nicht stutzig, wenn der langsam vom Außenseiter zum Modell mutierende junge Mann nackt gesteht, er schreibe ihren Namen sogar in sein Essen? Anspielungen auf „Frankenstein“, Selbstverstümmelung und Schönheitschirurgie tun ein Übriges. Keine Chance, nicht zu erkennen, dass es hier um (Selbst-) Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen geht. Klar, dass Adams Persönlichkeit geformt wird wie eine Skulptur. Da bräuchte es die Erklärungen am Ende nicht, so nett die Idee ist, Evelyn im Nebenraum ihre Semesterarbeit vorstellen zu lassen.

Dass man trotzdem bei der Sache bleibt, liegt neben der schlüssigen Regie Murat Yeginers vor allem am hervorragenden Ensemble, das durchweg ungekünstelt wirkt: Manuel Klein changiert als Philip überzeugend zwischen coolem Großmaul und Sensibelchen, Juliane Grégori kauft man die naive Jenny ebenso ab, wie Lisa Karlström die scheinbar verspielte, in Wirklichkeit aber skrupellose Künstlerin.

Die Wandlung Adams schließlich vom verschüchterten Niemand in einen verlogenen Egoisten meistert Klaus Köhler mit großer Natürlichkeit. Das Stück drehe sich auch darum, was denn Kunst sei, hat Neil LaBute gesagt. Diese Inszenierung ist eine Lehrstunde in der Kunst, eine Vorlage mit Schwächen in einen unterhaltsamen Theaterabend zu verwandeln.

Christoph Kutzer

Nächste Vorstellungen: 5.+10.5., Oldenburg, Galerie „Alte Kegelbahn“ am Uhlhornsweg