Langes Ende für AKW

In Mülheim-Kärlich beginnt die Erörterung über den Abriss des stillgelegten Atomkraftwerks. AtomgegnerInnen beklagen mangelhafte Unterlagen

aus Frankfurt/Main KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Erstmals in Deutschland wird ein Atomkraftwerk der Flaggschiffklasse abgerissen. In Mülheim-Kärlich begann gestern das behördliche Erörterungsverfahren für den Rückbau des mit dem Störfallreaktor in Harrisburg (USA) baugleichen und mit 1.308 Megawatt größten Atommeilers der Republik im rheinland-pfälzischen Mülheim-Kärlich – und das gleich mit viel Ärger für die Vertreter der Landesregierung. Diese leiten das von der Betreibergesellschaft RWE beantragte Genehmigungsverfahren.

Die Einwender warfen RWE vor, nicht über die vom Atomgesetz vorgeschriebene „Zuverlässigkeit und Fachkunde“ für den Abriss eines AKW dieser „Gewichtsklasse“ zu verfügen. RWE mangele es generell an Erfahrung beim Rückbau atomarer Anlagen, so Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Ihre „Unfähigkeit“ habe die RWE Power AG schon wiederholt unter Beweis gestellt. Schlampig habe RWE schließlich auch schon beim Bau des AKW Mülheim-Kärlich gearbeitet, sagte Helga Günther von der Bürgerinitiative gegen das Atomkraftwerk. Das AKW sei „illegal“ auf nicht genehmigtem, vulkanisch aktivem Grund errichtet worden. Nicht zuletzt deshalb hatte das Bundesverwaltungsgericht die erste Teilerrichtungsgenehmigung für das AKW aufgehoben – das war der Anfang vom Ende. Insgesamt war der Meiler nur ein halbes Jahr am Netz.

Das wirkliche Ende allerdings ist offen. In den von RWE vorgelegten Unterlagen fehlt eine genaue Zeitangabe über die Dauer des Rückbaus. Und weil sich RWE nicht zu den Gesamtkosten äußerte, gab es zusätzlich Kritik. Die Umweltverbände monierten auch das Fehlen eines „ausreichenden Entsorgungskonzepts“ für die radioaktiven Abfälle. Die Bundesregierung habe bis heute noch keine konkreten Planungen für ein Endlager vorgelegt. Auch sei RWE nicht in der Lage, das gesamte Nuklidspektrum der abzubauenden, radioaktiv verseuchten Teile messtechnisch zu erfassen.

Die Menschen in der Region, so BBU-Sprecher Bernhard, würden deshalb „als Versuchskaninchen missbraucht“. Noch nicht einmal ein Nachweis für eine abgeschlossene Haftpflichtversicherung für den Rückbau finde sich in den RWE-Unterlagen.

Die Grünen im Landtag fordern von der Landesregierung ein Messkonzept für den Rückbau. Mit dem soll sichergestellt werden, dass die Strahlenbelastung für die Bevölkerung „so gering wie möglich gehalten wird“. Auch über die Mengen an Rückbauabfällen und deren Zuordnung zu den verschiedenen Entsorgungsklassen sollen Landesregierung und Betreibergesellschaft „detailliert Auskunft geben“, so Grünen-Fraktionsvorsitzende Ise Thomas.

Thomas machte gestern bei der Eröffnung des Erörterungstermins darauf aufmerksam, dass Mülheim-Kärlich das erste AKW sei, das nach dem Atomausstiegsbeschluss rückgebaut werde. Das Verfahren hat deshalb eine Vorbildfunktion für die Sicherheitsvorkehrungen und die Bürgerbeteiligung beim Abriss weiterer Atomreaktoren.