Gallier des Ostens

Bands aus der tschechischen Künstlerkolonie Cesta bereisen den Norden – als Botschafter des Widerstands

Zwischen Avantgarde& Hardcorepasst immer noch ein Indie-Label

Die Idee des gallischen Dorfes, das, durch Autonomie und Selbstorganisation, Widerstand gegen die alles vereinnahmenden Warenflüsse leistet, bildete jahrelang das Zentrum der Ideologie von Indie-Rockern und Hardcore-Kids. Vor allem in den USA hatte sie eine starke Basis. Was ist davon geblieben in einer Zeit, in der auch der letzte Punk von der Industrie aufgekauft, transformiert und wieder ausgespuckt wurde und der Kapitalismus seinen weltweiten Siegeszug feiert?

Fast nirgends sind die verheerenden Auswirkungen des sich globalisierenden Kapitalismus so direkt zu spüren, wie in den so genannten Transformationsstaaten des ehemaligen Ostblocks. Es ist kein Zufall, dass sich gerade hier neue gallische Dörfer formieren. Eines befindet sich in Tábor in der Tschechischen Republik. Sein Name: Cultural Exchange Station in Tábor – oder kurz: Cesta.

Gründer des Zentrums sind zwei US-Amerikaner: Hilary Binder und Christopher Rankin. Beide kommen aus San Francisco – einer ehemaligen Hochburg der Selbstorganisation. Zusammen bilden sie Sabot, eine der drei Bands aus dem Cesta-Umfeld, die in den kommenden Tagen verschiedene Spielstätten im Norden Deutschlands beehren.

Vor zehn Jahren hatten sich die beiden auf die Suche nach Räumlichkeiten außerhalb der USA gemacht: Dort schien es ihnen finanziell und logistisch unmöglich, ein kulturelles Zentrum nach Graswurzel-Prinzipien zu gründen. In der rund 90 Kilometer südlich von Prag gelegenen Kleinstadt – im 15. Jahrhundert Hochburg der kirchenkritischen Hussiten-Bewegung – wurden sie fündig.

Relativ günstig ersteigerten sie auf einer Auktion ein Haus, in dem und von dem aus sich seitdem diverse kulturelle Aktivitäten entfalten. Nationale und internationale Künstler geben sich hier mit den MacherInnen einer Obdachlosenzeitung die Türklinke in die Hand. Es gibt ein „Artists in Residence“-Programm und Starthilfen für neue Künstler und Musiker.

Die Räumlichkeiten werden für Konferenzen und Workshops zur Verfügung gestellt. Das allsommerlich stattfindende große Festival wird gerne auch von der Avantgarde-Prominenz besucht. Hilary Binder fasst die Aktivitäten wie folgt zusammen: „Wir bauen ein alternatives Netzwerk für eine Kultur auf, die eine Alternative zum kommerziellen Mainstream ist. Eher als Strukturen, die mich unterdrücken, direkt anzugreifen, bevorzuge ich es, andere Strukturen aufzubauen, auf die ich mich verlassen kann, die die andere Struktur obsolet machen.“

Ein Teil dieses Netzwerkes ist das Label Free Dimension Records, auf dem die anderen beiden, dieser Tage durch unsere Region tourenden Bands veröffentlichen: Die eine heißt schlicht C, die andere Deverova Chyba. Wie Sabot bewegen auch diese sich auf einem Post-Hardcore-Feld der Möglichkeiten.

Zwischen funkigen, variantenreichen Instrumentals mit Dub-Grundierung von C, dem etwas heftigerem vertrackten Hardcore von Deverova Chyba und dem punkig druckvollen Schlagzeug und Bass-Minimalismus der Sabots wird eindrucksvoll demonstriert, dass immer noch einiges geht zwischen Avantgarde und Hardcore.

DIETER WIENE

C und Deverova Chyba: heute, Bremen - Römer, morgen in Hamburg - Scandia. Sabot: 28.04. Bremen - Tower, 29.04. Hamburg - Scandia, 01.05. Wismar - Tikogzalpa, 02.05. Rostock - Stubnitz