Geschichte in Nahaufnahme

Eine Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum in Bonn zeigt Arbeiten der Fotografendynastie Schafgans – und lässt zugleich 150 Jahre Geschichte der Fotografie Revue passieren

Die Profile der Gesichter scheinen aus der Fläche herauszutreten und gleichzeitig im Dunkel des Hintergrundes zu verschwinden

Von Katharina Klöcker

Das Lichtbild-Atelier Schafgans in der Bonner Rathausgasse, das heute noch den Flair der guten alten Bonner Republik verströmt, ist eines der ältesten Fotoateliers Deutschlands. Vor genau 150 Jahren begann hier Johannes Schafgans eine Karriere in Generationen: dem Pionier der Fotografie folgten Sohn, Enkel und schließlich Urenkel.

Weit über die Stadtgrenzen hinaus berühmt wurden die Porträts des Urenkels, des 1927 geborenen Hans Schafgans. Er schuf Bilder deutscher Politiker, die sich ins Gedächtnis eingegraben haben. Hans Schafgans begründete die so genannte Präsidentenfotografie: Der Gesichtsausdruck, den er von einem Heuss, einem Scheel, einem Carstens oder Herzog festhielt, ist vielen als das Bild des jeweiligen Bundespräsidenten schlechthin in Erinnerung geblieben.

Zum 150-jährigen Jubiläum des Ateliers, das längst eine Institution der alten Bundeshauptstadt geworden ist, zeigt das Rheinische Landesmuseum zurzeit einen Ausschnitt des Schaffens der Fotografendynastie in einer umfangreichen und ausgesprochen sehenswerten Ausstellung. Im Archiv des Ateliers schlummern mehr als 700.000 Aufnahmen. Davon sieht der Besucher zwar nur einen Bruchteil, doch dieser reicht aus, die Geschichte der Bundesrepublik in Nahaufnahme – also in bekannten und unbekannten Gesichtern – zu zeigen und zugleich 150 Jahre Geschichte der Fotografie Revue passieren zu lassen.

Verschwimmen bei Johannes Schafgans (1828-1905), dem ausgebildetem Porzellanmaler, die Grenzen zwischen Fotografie und Malerei noch sichtlich, platziert sein Sohn Theodor Schafgans (1859-1907) die menschlichen Objekte vor seiner Linse dank ausgefeilter Kulissentechnik mal vor einem idyllischen Landschaftspanorama, mal vor barockem Interieur. Die Revolution innerhalb der Fotografie, die sich mit dem nächsten Generationswechsel hin zu Theo Schafgans (1892-1976) vollzieht, macht die Ausstellung besonders deutlich. Der junge Theo brachte von seiner Ausbildung an der berühmten Münchner Fotoschule einen avantgardistischen Stil mit nach Bonn, der mit dem vorherrschenden Realismus brach.

Die Porträts sprechen den Betrachter in ihrer subjektiven Expressivität unmittelbar an und bringen die künstlerischen Ideen von Jugendstil und Expressionismus zum Ausdruck. Die Profile der Gesichter scheinen aus der Fläche herauszutreten und gleichzeitig im Dunkel des Hintergrundes zu verschwinden. So bleibt der Besucher gebannt vor dem Bild des Piloten Gerhard Fieseler stehen, der 1927 mit seiner Maschine nicht über, sondern unter der Bonner Rheinbrücke durchflog und kurz nach seiner Landung in voller Montur ins Atelier eilte. Die Wahnwitzigkeit dieses Unternehmens spiegelt sich in seinem Gesicht wider. Dieses und viele weitere Porträts sind wirklich „Landschaften der Seele“ – wie die Ausstellung titelt.

Und diese „Landschaften der Seele“ können auch auf den Porträts des 1927 geborenen Hans Schafgans erkundet werden. Das Besondere der Ausstellung, meint Schafgans, der an einigen Terminen selbst durch die Räume führt, liege in der inneren Korrespondenz der Porträts unter einander, die er selbst nicht so genau erklären will oder kann. Da hängen neben einander Gert Fröbe, Frederick Ullstein und Jean Améry – alle Bilder sind Ende der 70er Jahre entstanden – und verraten in ihrer Zusammenstellung eine große Gemeinsamkeit: Hinter dem Objektiv steht einer, der den vor dem Objektiv vergessen lässt, dass zwischen ihnen eine Kamera steht.

Porträtieren hat viel mit diesem Vergessen zu tun, erklärt Schafgans, und fügt schelmisch hinzu: „Aus einem großen Schweiger wird nie ein guter Porträtist.“ Schafgans‘ Porträts sind alle im Verlauf von Gesprächen entstanden, die oft Stunden dauerten. Und dann, wenn der Abzulichtende nicht mehr daran denke, „einen Gesichtsausdruck für die Ewigkeit machen zu müssen“, entstünden die Porträts, die „zwar nie die ganze Person, aber eben doch eine ihrer entscheidenden Nuancen zum Ausdruck bringen“, erzählt Schafgans. Das seien die Bilder, die fesseln, und wenn sie dann auch noch dem Porträtierten selbst gefielen, sei das Bild gelungen.

Alle Bilder im Museum sind dem Schwarz-weiß-Credo des Fotografen unterworfen. Seelische Informationen seien bei Farbfotos geringer, sagt Schafgans. Die Reihe der Porträts ist lang: Konrad Adenauer streng und unnahbar, Jutta Limbach mit entwaffnend offenem Blick, Willy Millowitsch verschmitzt und altersweise. Kampfeslustig schaut Regina Halmich mit Boxhandschuhen den Betrachter an.

Ihm gehe es nicht in erster Linie um Prominenz, Beruf oder Funktion, sondern immer und zuerst um den Menschen, erklärt Schafgans die Philosophie seiner Porträts. Den Ausdruck Prominentenfotografie benutzt er deshalb auch etwas verächtlich. Trotzdem kommen viele Promis und Politiker zu ihm. Ob das beim neuen Bundespräsidenten oder der neuen Bundespräsidentin auch der Fall sein werde, darauf will er sich nicht festlegen.

„Schafgans – eine Geschichte der Fotografie“ ist bis zum 31. Mai im Rheinischen Landesmuseum in Bonn zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 bis 18 Uhr und Mittwoch, Freitag und Sonntag 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 6,50 Euro (ermäßigt: 4,50); Ausstellungskatalog: 22 Euro