Bald hilft nur noch Zaubern

Seit zehn Jahren verteilt die Hilfsorganisation Berliner Tafel übrig gebliebene Nahrungsmittel etwa von Hotels an Bedürftige. Jetzt erhält Gründerin Sabine Werth das Bundesverdienstkreuz. Doch der Jubel ist verhalten. Das Geld für die Tafel wird knapp

„Wir sind richtig gründlich pleite. Jetzt müssen wir zielgerichtet zaubern“

von MAXIMILIAN HÄGLER

Eigentlich könnte sich Sabine Werth freuen. Alle scheinen sie zu lieben, und sie ist erfolgreich. Die Bundesvorsitzende des Verbandes „Deutsche Tafel e. V.“ erhielt gestern das Bundesverdienstkreuz. Vor zehn Jahren hat die Berlinerin die ersten Lebensmittel eingesammelt und an bedürftige Menschen gegeben. Aus diesem kleinen Projekt sind mittlerweile bundesweit über 330 „Tafel“-Initiativen entstanden. Sie verteilen jährlich 62.000 Tonnen Nahrungsmittel an 20.000 Menschen. Für Bundeskanzler Gerhard Schröder ist dieses ehrenamtliche Engagement ein „ermutigender Beweis für Solidarität in unserem Land“, und auch die Tafel-Initiatorin stellt fest: „Die Entwicklung der Tafel-Landschaft ist gigantisch!“

Aber trotz Zehnjahresfeier und Orden wird sich Werth bei den Verbandswahlen am Wochenende nicht mehr aufstellen lassen. Denn der Berliner Tafel fehlen Mitglieder und Spenden – sie ist nach den Worten Sabine Werths „gründlich pleite“. Deshalb will sie sich auf ihre zweite Funktion, die Führung der hiesigen Tafel, konzentrieren.

In Berlin sammeln täglich mehr als 200 ehrenamtliche Helfer in 90 privaten und 6 tafel-eigenen Fahrzeugen übrig gebliebenes Essen ein, das 15.000 bedürftigen Menschen zugute kommt. So landen frische, aber nicht mehr benötigte Nahrungsmittel aus Nobelhotels genauso in den 300 belieferten Sozialeinrichtungen wie die Schrippen vom Bäcker. Doch die Tafel kann nicht nur durch Essenspenden überleben, von denen es inzwischen genügend gibt. Sprit, Organisationspersonal und Autoreparaturen verschlingen über 6.000 Euro im Monat – und das alles ohne öffentliche Fördergelder.

An dem eigenständigen Wirtschaften will Sabine Werth auch gar nichts ändern: „Ich weigere mich, öffentliche Förderung in Anspruch zu nehmen, denn darunter müssen die Institutionen leiden, die wir beliefern!“ Auch aus dem Bundesverband kann die Berliner Tafel keine Unterstützung erwarten, denn „jede Tafel muss es aus eigener Kraft schaffen“. So bleibt nur eins: „zielgerichtet Zaubern“. Das bedeutet: Aus 300 Berliner Mitgliedern müssen 3.000 werden. Denn bei dem geringen Monatsbeitrag von knapp 3 Euro macht’s die Masse. Und es müssen sehr viel mehr Spender und Sponsoren aufgetan werden. Dann könnte die Berliner Tafel auch die dringend benötigten Kleintransporter anschaffen.

Denn die Berliner Tafel muss wachsen, wird doch die Zahl der Bedürftigen immer größer. „Es gibt Ernährungsarmut in Deutschland“, stellt Konstantin von Normann fest, der die Tafel-Initiativen wissenschaftlich betreut. Es gebe zwar keine genauen Zahlen, aber regionale Studien belegten immer wieder, dass ärmere Menschen gerade im letzten Monatsdrittel beim Essen knapsen müssen. Und zunehmend seien junge Menschen von Ernährungsarmut betroffen. Von den bundesweit täglich 450.000 Versorgten sind ein Viertel Kinder und Jugendliche. „Das ist ein drängendes Problem“, beklagt Werth. Deshalb will der Bundesverband auch Mitglied in der Nationalen Armutskonferenz werden, um diese Probleme zu bekämpfen.

In Berlin wird das Phänomen der Mangelernährung bei Kindern und Jugendlichen schon jetzt angegegangen. So liefert das Tafel-Team nicht nur an Obdachloseneinrichtungen und Beratungsstellen, sondern auch an zehn Grundschulen. Und das mit gutem Grund: „In manchen Berliner Familien wird nur noch zweimal in der Woche gekocht.“

Wer die Berliner Tafel unterstützen will, kann sich unter 7 82 74 14 melden oder über www.berliner-tafel.de