Nomadenstil

Ins libanesische Hermel-Gebirge kommen Libanesen, Golf-Araber und Europäer zum Wandern, Paragliding, Vögelbeobachten oder Picknicken

VON HANNAH WETTIG

In den Tälern des Hermel-Gebirges wuchs noch vor drei Jahren vorrangig Marihuana. Reiseführer warnten vor der Gegend, die sowohl dem Zugriff der libanesischen Armee als auch der Hisbollahs trotzte. Heute ist sie Ziel gestresster Stadtbewohner aus Beirut und Europa. Auf der Ecolodge al-Jord können sie Mountainbike fahren, wandern oder einfach unter einer Zeder sitzend die Stille und den Blick auf eine Bergwand genießen, auf deren Spitze der Schnee bis in den Spätsommer nicht schmilzt.

Von der Kleinstadt Hermel führt eine schmale Straße hinauf in die Berge. Hussein Allaou, einer der vier Initiatoren der Ecolodge, holt uns in Hermel ab. „Diese Täler waren alle mit Zedern bewachsen,“ sagt Allaou. Jetzt stehen dort nur wenige Nadelbäume zwischen kniehohen Gräsern. Der Kiefern- und Zedernwald in dieser Gegend wurde erst in den letzten drei Jahrzehnten abgeholzt, um Platz für Steinbrüche zu machen. Libanonzedern wachsen langsam und erreichen erst nach mehreren hundert Jahren ihre imposante Größe. Auf der Westseite des Libanongebirges sind die Zedern seit 4.000 Jahren kontinuierlich reduziert worden, angefangen bei Phöniziern und Römern, die daraus Schiffe bauten.

Die vier Gründer der Ecolodge würden am liebsten den Wald aufforsten. Doch erst mal wollen sie mit ihren Projekten al-Jord und der Nichtregierungsorganisation Mada naturverträgliche Jobs für die Bauern schaffen. Während al-Jord Geld einbringen soll, bietet Mada Kurse für Bauern, Exkursionen für Schulen oder baut Wasserleitungen.

Im Sommer 2001 kamen die ersten Touristen. Bisher gibt es acht Zelte, kleinere und so genannte Beduinenzelte, die innen mit Steinfußboden und einer Wand ausgebaut sind, die den Wind abhält. Warmwasser und Strom werden mit Solarenergie erzeugt. In al-Jord angekommen kann man sich erst mal in dem Restaurantzelt ausruhen und sich die vegetarischen Gerichte aus der Region oder eine Platte Forellen schmecken lassen. Abends tischt Allaou selbst gebrannten Arak auf. Am nächsten morgen um acht führt er uns auf einer vierstündigen Wanderung zur Höllenschlucht. Steile Felswände fallen rund 200 Meter in die Tiefe, wo im Frühjahr die Schneeschmelze Richtung Mittelmeer rauscht. Auf dem Rückweg trinken wir Kaffee bei einer Bäuerin, die dafür frisches Quellwasser auf einer Feuerstelle vor ihrem Haus erhitzt. „Acht Familien, die aus der Region in die Stadt gezogen waren, sind zurückgekommen“, erzählt Sahar. Sie arbeiten für die Lodge als Bauarbeiter, Fahrer oder Touristenführer.

Al-Jord ist nur eines von vielen Ökotourismusprojekten, die in den letzten Jahren im Libanon entstanden sind. Nidal Ghorayeb bietet seit vergangenem Sommer Wander- und Kulturtouren mit seiner Firma „Esprit Nomade“ an. Solche Wanderclubs haben sich schon in den ersten Jahren nach Ende des 15 Jahre währenden Bürgerkriegs gegründet. Auf Wanderungen in der Bekaaebene steht ökologische Landwirtschaft auf dem Programm. Von der UN subventioniert, um den Drogenanbau einzudämmen, ist der ökologische Landbau eine der wenigen sinnvollen Optionen für die ehemaligen Marihuana-Bauern, da sie kaum mit den niedrigen Preisen des aus Syrien eingeführten Gemüses konkurrieren können.

Ghorayeb will mit seinen Touren den Ökobauern ein zusätzliches Einkommen schaffen. Denn bisher können sie kaum überleben. Genauso wenig wie er. Unter der Woche arbeitet er als Bankangestellter. „Ich bin überrascht, dass sich immer mehr Unternehmer am Ökotourismus versuchen“, sagt er.

Die Firma „Exit to Nature“ ist erst vor zwei Monaten an den Start gegangen. Die Freunde Aoun Abi Aoun, Dschihad Kachaani und Alain Gabriel glauben, dass sie es mit ihrem umfassenden Programm am Markt schaffen können. Es gibt kaum etwas, was sie nicht anbieten: Ski- oder Kajakfahren, Segeln, Klettern, Wandern, Paragliding, Iglubau oder Vögelbeobachtung. Weil im Libanon die meisten Touristen aus den Golfstaaten kommen, haben sie sogar ein sonst dem Naturtourismus fremdes Angebot: Picknick. „Golf-Araber mögen nicht unbedingt drei Stunden wandern, aber das heißt nicht, dass sie immer im Hotel sitzen wollen“, er läutert Aoun.