„Sparen zerstört den guten Ruf“

Der schwedische Botschafter in Berlin, Carl Tham, setzt auf einen intensiven Austausch zwischen seinem Heimatland und Berlin. Denn beide Seiten könnten voneinander lernen – bei Kultur, Frauenrechten und Sozialpolitik in Zeiten knapper Kassen

Interview HEIKO HÄNSEL

taz: Herr Tham, Berlin gilt jungen Schweden nicht als verlockende Metropole.

Carl Tham: Berlin ist vielleicht nicht gerade die schwedische Traumstadt. Aber viele schwedische Künstler kommen gegenwärtig wegen der Vitalität der Kulturszene hierher, auch weil die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu Stockholm niedrig sind. In Berlin leben jetzt etwa 2.500 Schweden. Das ist nicht viel, aber auch nicht wenig. Erzählt man in Schweden, ich wohne in Berlin, gibt es nur eine Reaktion: Toll, das ist eine interessante Stadt. Berlin zehrt bei uns von seinem guten Ruf als eine der intellektuellen Hauptstädte des 20. Jahrhunderts.

Und im 21. Jahrhundert?

Berlin ist gegenwärtig in einer gefährlichen Situation. Die Maßnahmen an den Kultureinrichtungen und Universitäten drohen diesen guten Ruf kaputt zu sparen. Hier tut sich eine Falle für die Berliner Politik auf. Wie soll man Berlin ohne seine künstlerischen und wissenschaftlichen Kapazitäten in der Zukunft gestalten?

Engagieren Sie sich deshalb für den Kulturaustausch mit Berlin?

Ich bin fasziniert von der Berliner Kulturszene. Ich war das erste Mal 1961 in Berlin im Theater. Ich sah die Aufführungen des Berliner Ensembles und Inszenierungen Walter Felsensteins an der Komischen Oper. Deutschland war und ist eine Weltmacht des Theaters. Schweden, das sich nach 1945 stark nach Amerika gewandt hat, sollte dieses Potenzial Deutschlands in der Kunst wahrnehmen. Deshalb muss der Austausch in beide Richtungen gehen. Deutsche Kultur soll in Schweden und schwedische in Deutschland präsent bleiben. Und mehr als nur die Hochkultur wie Per Olov Enquist oder Günter Grass.

Was heißt das in der Praxis?

Im März gab es – von der Botschaft organisiert – ein deutsch- schwedisches Seminar von Literaturkritikern, Romanautoren und Übersetzern, die sich um eine Intensivierung des literarischen Austausches bemühte. Wir wollten damit vor allem junge Literaten fördern. Im Frühjahr 2004 wird es im Hamburger Bahnhof eine große Ausstellung moderner nordischer Künstler geben. Wir haben natürlich wenig Geld, aber ein paar tausend Euro hier und da kann die Botschaft schon einsetzen.

Daneben beteiligen Sie sich sehr intensiv an der Debatte über die „Agenda 2010“ in Deutschland. Sie nehmen an Tagungen des DGB und der SPD teil. Ist das „schwedische Modell“ ein deutsches Vorbild?

Die deutschen Sozialdemokraten, aber nicht nur die, befragen mich nach den schwedischen Erfahrungen bei der Veränderung des Wohlfahrtsstaates. In Schweden gab es in den 90er-Jahren eine sehr viel tiefer gehende Krise als die jetzige in Deutschland. Wir haben aus dieser Krise herausgefunden. Wichtig dabei war: Die schwedische Sozialdemokratie hat niemals einen Modellwechsel angestrebt. Es galt zu sparen und zu verändern, um den Sozialstaat als Ganzes zu retten. Als die ökonomische Lage wieder besser war, haben wir das System erneut ausgeweitet.

Sie haben sich in Schweden sehr stark für die Frauenförderung eingesetzt und unter anderem als Bildungsminister eine strikte Quotenregelung an den Universitäten eingeführt. Sie kritisieren, dass Deutschland in dieser Frage zurück ist.

Ich kritisiere als Botschafter die Verhältnisse in Deutschland nicht. Ich werde auf verschiedene Konferenzen eingeladen und äußere dort meine Beobachtungen. Deutschland hat noch immer ein etwas patriarchales Gesellschaftssystem. Zum Beispiel Familiensteuergesetze wie Schweden um 1970. Nicht das Individuum wird damit gefördert, sondern die Familie.

Was hat sich konkret verändert?

Schwedische Frauen bewegen sich einfacher auf dem Arbeitsmarkt, weil sie nicht vom Gehalt des Mannes abhängen. Hier in Deutschland plagt die gängige Halbtagsschule die Frauen, weil sie nach der Schule für die Kinder sorgen müssen. Es ist schwierig, wenn beide Eltern arbeiten. Wenn man die niedrige deutsche Geburtenrate ändern will, muss man das angehen. Wie gesagt, ich spreche über die schwedischen Erfahrungen.

Und wie geben Sie die weiter?

Am 18. Juni veranstalten wir gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung ein Expertenhearing. Dort werden die schwedische Vizeministerpräsidentin Margareta Winberg und Familienministerin Renate Schmidt über ihre persönlichen Erfahrungen als Frauen in der Politik in Deutschland und Schweden berichten. Das wird sehr interessant. Auch wir Schweden können einiges von Deutschland lernen. Ich will einen Dialog, der tatsächlich beidseitig ist.

Sie sind regelmäßiger taz-Leser. Wegen der politischen Ausrichtung der Zeitung?

Die Zeitungen in Deutschland sind wirklich sehr viel besser als in Schweden. Deutsche Zeitung zu lesen ist ein Genuss. Ich meine damit nicht nur die überregionalen Blätter wie FAZ und SZ. Es gibt auch sehr gute regionale Zeitungen. Die taz bietet trotz der harten Konkurrenz ein attraktives Profil. Sie wählt die Nachrichten anders aus und setzt mit den Kommentaren starke Akzente. Dabei ist sie nicht extrem in irgendeiner Richtung, sondern an die allgemeinen Debatten angeschlossen. Für mich eine sehr interessante Zeitung.

Sind Sie ein Linker, Herr Tham?

Ich denke, ja. Für mich ist es die Idee der Gleichheit in der Gesellschaft, die mich leitet. Natürlich darf es keine absolute Gleichheit geben. Doch das ist nur ein theoretisches Problem, denn die Ungleichheiten sind so groß, nicht nur in Ihrer oder meiner Gesellschaft, sondern weltweit. Die schwachen Menschen sind so viele. Sie zählen nach Milliarden, und der Schrecken der Armut in der Welt ist ohne Grenzen. Ich war Leiter des schwedischen Entwicklungshilfeamts Sida und weiß, wovon ich rede. Wenn man für eine Welt mit etwas mehr Gleichheit eintritt, hat man richtig viel zu tun. Dieser Gleichheitsgrundsatz ist der innere Kern der Sozialdemokratie. Das ist das Wichtigste.