Aufgehübschter Ladenhüter

Mal am Lack gekratzt und einen echten Rembrandt gefunden – 71 mal 55, Öl auf Holz.Das neu entdeckte Selbstportrait wurde gestern vom Auktionshaus Sotheby‘s in Hamburg präsentiert

von CHRISTINE KEILHOLZ

Wirklich selten ist das Gemälde nicht. Rembrandt van Rijn wusste, was er wert war, und hat sich im Laufe seines Lebens (1606 bis 1669) rund 80 Mal selbst portraitiert. „An diesem Gemälde mag ich, dass es keinen steifen und stolzen Rembrandt zeigt, sondern den Mann wie er eben ist“, sagt Nicolas Joly, Spezialist für Alte Meister von Sotheby‘s Paris gestern bei der Präsentation in der Hamburger Niederlassung des altehrwürdigen englischen Auktionshauses am Rothenbaum.

Zu sehen ist der Meister im Alter von 28 Jahren, mit Pelzkragen Barett und Bärtchen. Er, der im frühen Barock als Maler der Seelentiefe galt, blickt freundlich, aber distanziert und überlegen drein. „Dennoch war das Bild ein Ladenhüter“, vermutet George Gordon, Experte in der Londoner Sotheby‘s-Zentrale. Offenbar instruierte Rembrandt seine Schüler, es aufzuhübschen – mit langem Haar, einem höchst seltsamen Hut und Ohrringen, im Stil eines russischen Aristokraten. „Zu dieser Zeit waren exotische Bildnisse beliebt“, so Gordon. Niemand wollte den schon zu Lebzeiten populären Rembrandt in einem Outfit, das nicht mehr en vogue war.

Der Weg, den das Gemälde seit seiner Entstehung im Jahre 1634 zurücklegte, kann nicht lückenlos rekonstruiert werden. Sicher ist, dass es im 18. Jahrundert nach Deutschland, an einen Leipziger Bankier, verkauft wurde. Ein Siegel mit Namen des Besitzers deutet darauf hin. Ebenfalls bekannt ist, dass das Werk bei einer Auktion im Jahre 1956 den nicht eben stattlichen Preis von umgerechnet rund 250 Euro erzielte.

Diese investierte ein cleverer Restaurator und verstaute das Schnäppchen für ein paar Jahrzehnte auf dem Dachboden seines Pariser Hauses. „Vielleicht hat er mehr hinter dem Bild vermutet, er ließ es allerdings nie untersuchen“, sagt Nicolas Joly. Ihn hatte der Besitzer vor zwei Jahren zu Rate gezogen. „So etwas findet ein Kunstexperte allerhöchstens einmal im Leben.“

George Gordon von Sotheby‘s in London untersuchte das Gemälde in Zusammenarbeit mit dem Rembrandt Research Project in Amsterdam, der Autorität für Rembrandts Werke. Darauf folgten 18 Monate komplizierter Kleinstarbeit, um die hinzugefügten Farblagen abzutragen. Das Kratzen am Lack förderte auch eine Originalsignatur von des Künstlers Hand aus dem Jahre 1634 zu Tage.

Wie viele Bilder das Schaffen Rembrandts und seiner Werkstatt umfasst, kann selbst George Gordon nicht aus dem Stand schätzen. Es sei aber nach wie vor möglich, auf bislang unbekannte Werke zu stoßen. „Neuentdeckungen machen die Arbeit des Kunsthistorikers erst richtig spannend. Und sie wecken das Interesse der Öffentlichkeit für die Kunst.“

Das Portrait wurde in den vergangenen Monaten in London, Amsterdam, Paris und New York präsentiert und soll am 10. Juli bei Sotheby‘s in London versteigert werden. Geschätzter Wert: sieben Millionen Euro.