Im Schatten der Soldaten

Eine militärische Niederlage in einen kulturellen Triumph zu verwandeln, erscheint seltsam: Doch genau das war die Ägytpenmode in Frankreich, wie die Ausstellung „Bonaparte et l’Égypte!“ im Pariser Institut du Monde Arabe darstellt

VON DOROTHEA HAHN

„Retour d’Égypte“ hieß der Orient-Kitsch, der ab 1801 einen Siegeszug auf dem französischen Markt antrat: „Rückkehr aus Ägypten“. Pendeluhren mit Sphynxen. Leuchter auf Frauenkörpern. Und gemalte Szenen aus Harems zogen in die besseren Salons ein. Als modisches Echo auf die Ägyptenexpedition.

In anderen Kriegen führten militärische Debakel von diesem Kaliber zu Verdrängung an der Heimatfront. Nach der Niederlage in Ägypten hingegen setzte in der Mode und in der Kunst in Frankreich eine „Ägyptomanie“ ein, die nie ganz abgeebbt ist.

Verantwortlich für die „Ägyptomanie“ sind vor allem 169 Intellektuelle. Ohne sie wäre es ein kolonialer Feldzug gewesen, der zu dem Tod von mehr als 11.000 französischen Soldaten und von ungezählt vielen Einheimischen führte. Die Präsenz der Botaniker, Biologen, Ärzte, Schriftsteller, Maler und Archäologen aus Frankreich macht die Expedition zu einem Schock der Zivilisationen. Sie widmen Bonapartes militärisches Debakel in einen kulturellen Triumph um und kehren wie Sieger zurück: Ihre Aufzeichnungen und „Mitbringsel“ schaffen in Paris die Grundlagen für Museen und Forschungsinstitute, die Inspiration für neue Richtungen in der Malerei und den Anstoß für Modetrends in Architektur und Mobiliar.

Einhundertzehn Jahre danach widmet das Pariser „Institut du Monde Arabe“ der Arbeit dieser eingebetteten Intellektuellen eine Ausstellung. Der Titel stellt allerdings die Begegnung zwischen einem Mann und einem Land in den Vordergrund. Beide sorgen gewöhnlich für Erfolg beim Museumspublikum: „Bonaparte und Ägypten“.

Frankreich befindet sich im Jahr 9 seiner neuen Zeitrechnung – die Monate tragen revolutionäre Namen wie „Nivôse“ und „Fructidor“. Ägypten, damals Provinz im Osmanischen Reich, ist bei Machtkämpfen in eine tiefe Krise geraten. Anfang 1798 schreibt Außenminister Talleyrand in Paris: „Ägypten war eine römische Provinz. Es muss eine Provinz der Französischen Republik werden.“

Der Auftrag für den Feldzug geht an den erfolgreichsten General der jungen französischen Republik: Bonaparte ist noch keine 30 Jahre alt. Sein Gesicht hat noch kindliche Rundungen. Seine Haare sind noch schulterlang. Aber die italienischen Siege haben ihn bereits zu einem Helden in Frankreich gemacht. In Ägypten soll er nicht nur eine alte Zivilisation „retten“, sondern auch das französische Kolonialreich ausbauen. Frankreich will England in Ägypten den Handelsweg nach Indien abschneiden.

Bonaparte bereitet die Expedition unter höchster Geheimhaltung vor. London soll nichts erfahren. Der junge General arbeit von vornherein an zwei „Fronten“: der militärischen und der kulturellen. Er sucht nicht nur seine Offiziere sorgfältig aus, sondern auch sein Intellektuellen. Für das neu gegründete „Institut d’Égypte“ rekrutiert er brillante Absolventen von Pariser Schulen sowie einige prominente ältere Forscher. Unter Letzteren ist der bereits 51-jährige Dominique Vivant Denon. Während 13 Monaten zeichnet Vivant Denon in Ägypten Kamele, Mücken, Fische und Pyramiden. Er wird später das „Musée Napoléon“ leiten, das heute „Louvre“ heißt.

Mehr als 300 Exponate zeigt die Pariser Ausstellung. Die 38 Monate des Feldzugs in Ägypten sind dabei nur ein Aspekt. Es geht es um ein komplettes Jahrhundert: zwischen 1769 – Geburtsjahr von zugleich Napoleon Bonaparte sowie von dem späteren ägyptischen Vizekönig Mohammed Ali, der Ägypten modernisieren wird – und 1869 – dem Eröffnungsjahr des Suez-Kanals.

Die Ausstellung dokumentiert mit Bildern, Objekten und zeitgenössischen Texten das Drumherum des Feldzugs: den Alltag in Ägypten. Und die „Ägyptomanie“ in Frankreich. Das Ganze vor allem aus der Perspektive der französischen Intellektuellen. Der ägyptische Blick auf das Geschehen ist nur kurz erwähnt.

Für die eingebetteten Intellektuellen ist der Feldzug eine ideale Gelegenheit zur Beobachtung. Im Schatten der Soldateska zeichnen sie Alltagsszenen von Handwerkern und Bauern bei der Arbeit und Frauen und Männern im Privatleben. Sammeln ausgestopfte Tiere, getrocknete Pflanzen, Getreide und steinerne Skulpturen. Und tragen Informationen über medizinische und andere Techniken zusammen. Der militärische Aspekt, der in anderen Ausstellungen vielfach im Mittelpunkt steht, ist im Institut du Monde Arabe auf einige Propagandagemälde beschränkt. Darunter Lejeunes berühmte Schlacht von den Pyramiden – eine der wenigen Kämpfe, bei denen die rigiden französischen Carrés gegen die wild anstürmenden Mamelukken siegt. Das Bild ist eine Inszenierung, die wenig mit der Realität zu tun hat, den Feldzug – und Bonaparte – aber in den Kontext der alten ägyptischen Geschichte stellen soll. Vom realen Kampfschauplatz aus waren die Pyramiden nicht einmal zu sehen. Fast alle Gemälde haben die Aufgabe, Bonapartes Ruhm zu vergrößern. Sie zeigen ihn mal heroisch (kämpfend zu Pferd) mal menschelnd (an der Seite pestkranker Soldaten).

Schon kurz nach Beginn seines Feldzugs zerstören die Engländer die französische Flotte in Aboukir. Und stoßen die Franzosen in Kairo und auf dem Land auf massiven ägyptischen Widerstand. Diese Szenen dokumentieren die eingebetteten Künstler aus Frankreich nicht. Genauso wenig wie das Sterben von mehr als einem Drittel der 35.000 französischen Soldaten in Ägypten. Die Mehrheit kommt nicht bei Kämpfen, sondern durch Hunger, Hitze und Darmkrankheiten um.

Befehlshaber Bonaparte lässt seine Soldaten schon im Jahr 1799 in der Wüste im Stich. Er geht nach Paris, um nach der Macht zu greifen. Seine Nachfolge übernimmt General Kléber. Als der ermordet wird, führt ein zum Islam übergetretener französischer General die Truppen. 1801 muss General Jacques „Abd Allah“ Menou die Kapitulation in Ägypten unterzeichnen.

Das militärische Debakel im Ägypten-Feldzug ist begleitet von einer propagandistischen Meisterleistung. Die 169 eingebetteten Intellektuellen schaffen es tatsächlich, den verlorenen Krieg in einen gewonnenen Frieden zu retten. Sie bringen Kultur, Natur und Mythen mit zurück. Sie machen die gefallenen Soldaten, das zerstörte Land und den Sieg der Engländer vergessen. Und sie schaffen die Basis für eine intensive wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Ägypten.

Einer ihrer Nachfolger, der Ägyptologe Jean-François Champollion, wird die Hieroglyphen entziffern. Ein anderer, der Ingenieur Ferdinand de Lesseps, wird den Suez-Kanal bauen. Die Intellektuellen retten die „Gloire“ von Frankreich. Und bauen zugleich ihre eigenen Karrieren auf dem Feldzug auf. Lebenslänglich bleiben sie „Égyptiens“.

Acht Jahre nach der Kapitulation in Ägypten erscheint in Paris der erste Teil eines monumentalen 20bändigen Werkes: „Description de l’Égypte“. Es enthält zahlreiche Exponate, die auch in der Ausstellung in Paris zu sehen sind. Der Untertitel des riesigformatigen Buches in limitierter Auflage erwähnt als Auftraggeber den unterlegenen Feldherrn. Er hat sich in der Zwischenzeit in Paris sowohl einen Vornamen als auch einen Beinamen als „Großer“ gemacht: „ (…) auf Befehl von seiner Majestät Napoleon der Große“.

bis 29. März, „Bonaparte et l’Égypte“, Institut du Monde Arabe, Paris