Etappensieg für Gewerkschaften

Österreichs Bundeskanzler Schüssel ist mit dem Versuch gescheitert, erstmals eine Sozialreform ohne den traditionell mächtigen Gewerkschaftsbund durchzuziehen

WIEN taz ■ Heute soll Österreichs Parlament die umstrittene Pensionsreform beschließen. Sie wird wohl nur noch ein Schatten des Entwurfs sein, mit dem Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) vor zwei Monaten Opposition, Gewerkschaften, aber auch einen Teil der eigenen Basis und der FPÖ auf die Barrikaden brachte. Ursprünglich war geplant, dass die Möglichkeit der Frühpensionierung bis 2013 abgeschafft wird und dass die Pension nicht auf Grundlage der letzten 15, sondern der letzten 40 Berufsjahre berechnet wird. Diese Vorschläge wurden mit Einzelregelungen etwa für Frauen und Kleinverdiener soweit abgefedert, dass viele der Kritiker verstummt sind.

Dies ist nicht zuletzt ein Erfolg der Gewerkschaften. Aber nach zwei großen Streiks müssen die Gewerkschaften dennoch darüber nachdenken, wie sie künftig reagieren, wenn die Regierung sie wieder an den Rand zu spielen versucht. Etwa bei den bevorstehenden Einschnitten bei der Krankenversicherung.

Schüssels Fehler war, dass er versuchte, eine übertrieben harte Variante der Pensionsreform ohne Konsultation mit den Sozialpartnern durchzupeitschen. Die Bevölkerung erregte sich nicht nur über den Inhalt des Entwurfs, sondern auch darüber, dass der Kanzler unentwegt verkündete, er allein wisse, wie die Renten langfristig zu sichern seien. In den vergangenen 50 Jahren gab es in Österreich kaum Streiks. Im Rahmen der Sozialpartnerschaft wurden große sozialpolitische Weichenstellungen zwischen Regierung, Wirtschaft und Österreichischem Gewerkschaftsbund ausgehandelt. In 30 Jahren sozialdemokratisch geführter Regierungen stellte der ÖGB stets den Sozialminister. Politische Streiks waren unnötig, da keine Entscheidung gegen den Willen des ÖGB fiel.

Schüssels Versuch, mit dieser Tradition zu brechen, ist gescheitert. Aber gleichzeitig zeigte sich, dass die traditionellen gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen nur begrenzt einsetzbar sind. Gradmesser für den Erfolg der zwei Streiks war weniger die Kapazität der Gewerkschaften, das öffentliche Leben lahm zu legen, als die Zustimmung der Bevölkerung. Beim ersten Mal, als der öffentliche Verkehr nur vormittags eingestellt wurde, machten selbst die meisten Autofahrer im Stau gute Miene, am zweiten Aktionstag, als 24 Stunden keine Züge, Busse und U-Bahnen verkehrten, war die Reform bereits deutlich entschärft. Streikbefürworter waren da knapp in der Überzahl. Deshalb verzichtete der ÖGB auch auf weitere Aktionen, obwohl auch einige seiner Forderungen unerfüllt blieben.

Die Gewerkschaftsbewegung hat durch den Konflikt an Profil gewonnen. Schüssel und seine Regierung sind in den Umfragen abgesackt. Aber falls heute die Reform im Parlament doch noch durchfallen sollte, liegt es nicht am Protest der Gewerkschaften, sondern an Jörg Haider, der genügend FPÖ-Abgeordnete kommandiert, um Reform und Regierung zu kippen. RALF LEONHARD