Prag in Hamburg - Filmland Tschechien
: Prager neue Welle

Der Zeitpunkt rund um den Beitritt Tschechiens zur EU am 1. Mai ist perfekt gewählt. Mit über 20 Spiel- und Dokumentarfilmen aus mehreren Jahrzehnten von verschiedenen Prager Filmhochschulen vermitteln die tschechischen Film- und Kulturtage einen Eindruck von diesem faszinierenden Filmland, wie er sich differenzierter kaum wünschen lässt.

Der Schwerpunkt der präsentierten Filme liegt neben Arbeiten aus den letzten zehn Jahren auf Werken aus der tschechoslowakischen „Neuen Welle“ der 60er Jahre, als Forman, Chytilová und Co. die Freiheiten des Prager Frühlings nutzten, um Filme zu drehen, die phantasievoll und kritisch zugleich waren, und dafür auf Filmfestivals mit Preisen überhäuft wurden.

Besonders schön ist, dass der Blick aber auch noch weiter zurückgeht, und zwar bis zu Erotikon aus dem Jahr 1929. Lässt sich an Gustav Machatýs Melodram (nicht zu verwechseln mit Mauritz Stillers gleichnamiger Komödie von 1920) aus den letzten Tagen des Stummfilms doch exemplarisch ablesen, dass es in der Stummfilmzeit und in den ersten Tonfilmjahren ein Film-Europa gab, von dem das gegenwärtig entstehende noch sehr weit entfernt ist – eines, in dem ein permanenter Austausch aller künstlerischen Kräfte selbstverständlich war. So sind die Hauptrollen des Films mit der Jugoslawin Ita Rina, dem Schweden Olaf Fjord, dem Italiener Luigi Serventi und der Deutschen Charlotte Susa besetzt.

Mochte der marxistische Filmhistoriker Jerzy Toeplitz dieses auch als „kosmopolitischen Eklektizismus“ bezeichnen, dem „wirklichkeitsnahe, volksverbundene“ Tendenzen fehlten und Machatýs an deutschen Beleuchtungstechniken und russischen Montage-Prizipien geschulten Stil als „formalistische Spielereien“ abtun – das beredte Spiel der Gesten und Blicke, das Machatý hier vorführt, gibt der ansonsten gewöhnlichen Geschichte um Verführung, Leidenschaft und Tod eine auch heute noch funktionierende Intensität. Erstmals in Deutschland wird Erotikon in einer restaurierten Fassung mit der Musik von Jan Klusák, die von dem Prager Film- und Symphonieorchester eingespielt wurde, gezeigt.

Dass natürlich auch mit ausschließlich einheimischen Kräften Erstklassiges entstehen kann, beweisen die nun zu sehenden Filme aus den 60ern ebenso wie die nach der „sanften Revolution“ von 1989 gedrehten. Einen interessanten Vergleich dieser beiden Perioden bieten jeweils ein neuer und ein alter Film von Jan Nemec und Vera Chytilova. Letztere, deren Tausendschönchen längst ein Klassiker ist, zeichnet in Flights and Falls den Lebensweg von drei tschechischen Fotografen in politisch wechselnden Zeiten nach. Der nicht weniger kompromisslose Nemec, dessen Diamonds of the Night von zwei jüdischen Männern auf der Flucht vor der SS handelte, verarbeitet in Night Tals with Mother die Niederschlagung des Prager Frühlings und sein eigenes, davon erzwungenes Exil.

Anders als Milos Forman oder Jiri Menzel ist Pavel Juracek heute fast vergessen – zu Unrecht, wie seine drei Filme, vor allem der von Kafka inspirierte Case for a Rookie Hangman zeigen.

Neben Jan Sverak (Kolya) ist vor allem Jan Hrebejk, dem eine dreiteilige Werkschau gewidmet ist, mit interessanten Filmen hervorgetreten. Schon vor Wir müssen zusammenhalten entstand die in den 60ern spielende Komödie Cosy Dens; letztes Jahr dann Pubendo, in dem Sverak den „praktischen Sozialismus“ der 80er Jahre aufs Korn nimmt. In Tschechien war die bitter-süße Komödie ähnlich erfolgreich wie bei uns Good Bye, Lenin!. Eckhard Haschen

Die Tschechischen Film- und Kulturtage laufen vom 22.4. bis zum 16. Juni im Metropolis. Weitere Veranstaltungen finden in der Fabrik, dem Warburg-Haus, im Levantehaus und im Fundbureau statt.