Willkür statt Wehrgerechtigkeit

Seit die Bundeswehr nur noch einen geringen Teil eines Männerjahrgangs „zieht“, steht die Wehrgerechtigkeit in Frage. Heute entscheidet ein Kölner Gericht, ob die Wehrpflicht mittlerweile illegal ist. Das Urteil könnte der Anfang ihres Endes sein

AUS KÖLN FRANK ÜBERALL

Das Kölner Verwaltungsgericht bringt die allgemeine Wehrpflicht ins Wanken. Heute wollen die Richter über den Fall eines jungen Mannes entscheiden, der gegen seine Einberufung bei der Bundeswehr geklagt hatte. Per einstweilige Verfügung hatte er Anfang des Jahres zunächst Recht bekommen, nun soll das offizielle Urteil gesprochen werden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Gerichten halten die Kölner Juristen die Wehrgerechtigkeit für nicht mehr gegeben. Die neuen Einberufungs-Richtlinien vom Juli letzten Jahres führten dazu, dass ein großer Teil der jungen Männer nicht mehr zum Dienst eingezogen werde. So ignorierte der „Bund“ alle Männer, die über 23 Jahre alt sind oder bei denen der „Tauglichkeitsgrad 3“ festgestellt wurde. Dadurch werde im Jahr auf gut 90.000 Wehrpflichtige verzichtet, so das Kölner Gericht: „Dafür sind sachliche zwingende Gründe nicht erkennbar.“ Die Einberufungspraxis sei „willkürlich“ und damit „offensichtlich rechtswidrig“.

In Köln geklagt hatte der 21-jährige Christian Pohlmann aus dem nahe gelegenen Kerpen, der lieber weiter lernen wollte als zu „dienen“. Zwei Semester hatte er an der Kölner Universität bereits Islamwissenschaften, Politik und öffentliches Recht studiert, als er im Januar „gezogen“ werden sollte. „Der Spieß hat ziemlich verblüfft geguckt, als ich vier Tage nach Dienstantritt wieder nach Hause durfte“, erzählte Pohlmann der taz, „die Entscheidung überraschte mich bei meiner ersten Gewehrübung im Gelände.“

Pohlmann hatte die Klage vor dem Kölner Verwaltungsgericht eigentlich eingereicht, um die Unterbrechung seiner Ausbildung zu verhindern. Dass die Wehrpflicht an sich ungerecht und illegal sein könnte, fiel selbst seinem Anwalt nicht ein. Darauf kam die zuständige Kammer des Kölner Verwaltungsgerichts von allein.

Während Initiativen von Kriegsdienstverweigerern nach dem Kölner Vorbild zu weiteren Klagen aufrufen, scheinen nur wenige diesen Weg gehen zu wollen. „Es gibt höchstens eine Handvoll weiterer Eingaben, insgesamt ist die Zahl der Verfahren sogar rückläufig“, sagte der Kölner Gerichtssprecher Klaus-Peter Uhlenberg gegenüber der taz.

Das Urteil komme in diesem Fall so schnell, so Uhlenberg, weil man den Weg freimachen wolle für eine höchstinstanzliche Entscheidung. Nach dem heutigen Urteil in Köln sei ein Gang vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig möglich. Ein Schritt, den die Bundesregierung in jedem Fall tun will, wie Pressesprecher Udo Schnittker vom Verteidigungsministerium in Berlin bestätigte: „Wir halten unsere Einberufungs-Richtlinien weiterhin für rechtens und sehen keinen Anlass, unsere Praxis zu ändern.“

Die Wehrpflicht sei vor allem wichtig, um genug Nachwuchs für die Streitkräfte zu sichern. „Wir schöpfen unseren Bedarf an freiwilligen Wehrdienstleistenden aus diesem Potenzial“, erläuterte Oberstleutnant Schnittker. Den Wehrpflichtigen kann man die Vorteile einer längeren Verpflichtung schmackhaft machen, etwa den erheblich höheren Sold. Der Clou dieser Überredungs-Masche beim Bund: Diese Gruppe muss dann auch bei Auslandseinsätzen mitmachen, was Grundwehrdienstleistenden bisher gegen ihren Willen nicht befohlen werden kann.

Das Kölner Urteil wird aber auch politische Beachtung finden. Während Grüne und Jusos bereits mehrfach den Fortbestand der Wehrpflicht in Frage gestellt hatten, will vor allem die FDP das Thema anhand der Argumentation der Kölner Richter aufgreifen – nicht zuletzt, weil der Kölner Kläger Pohlmann Funktionär bei der FDP-Jugend „Julis“ ist.