Kosovokrieg erneut vor Gericht

Serbien-Montenegro klagt vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Angriffskriegs und Völkermord gegen acht Nato-Staaten, darunter auch Deutschland. Zunächst müssen die Richter klären, ob sie für das Verfahren überhaupt zuständig sind

VON CHRISTIAN RATH

Ein Konflikt ruft sich in Erinnerung: Serbien-Montenegro, der Nachfolgestaat der Bundesrepublik Jugoslawien, klagt gegen die Bundesrepublik Deutschland und weitere sieben Mitgliedsstaaten der Nato wegen Verletzung des Völkerrechts im Kosovokrieg. Die vorerst auf fünf Tage angesetzte Verhandlung beginnt heute beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag.

Im März 1999 intervenierte die Nato im Kosovo, angeblich um eine „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern. Die serbische Regierung unter Slobodan Milošević sollte an weiteren Massenvertreibungen und Massakern an der albanischen Mehrheitsbevölkerung im Kosovo gehindert werden. Als Verhandlungen scheiterten, begannen die Nato-Staaten einen Bombenkrieg ohne UN-Mandat. Im Juni lenkte Milošević ein und zog seine Truppen aus dem Kosovo zurück. Seitdem steht das Kosovo unter UN-Verwaltung.

Serbien und Montenegro wollen in Den Haag eine Verurteilung der Nato-Staaten erreichen. Die Intervention, so die Klage, sei ein unzulässiger Angriffskrieg gewesen und zugleich Völkermord an den Jugoslawen. Nach serbischen Angaben kamen mehr als 2.000 Menschen ums Leben. Bomben auf Chemiefabriken und Ölraffinerien sowie der Einsatz verbotener Uranmunition hätten außerdem zu schweren Umweltproblemen geführt.

Dagegen argumentieren die Nato-Staaten rein formal, der IGH sei nicht zuständig. Sie wollen sich auf die Prüfung der serbischen Vorwürfe erst gar nicht einlassen. Mit dieser Strategie hatten die Nato-Länder schon einmal Erfolg: Noch während des Krieges hatte Jugoslawien das UN-Gericht um eine einstweilige Anordnung zum Stopp der Angriffe gebeten, doch der IGH lehnte ab. Zum einen sah er keine Anzeichen dafür, dass die Nato einen Völkermord beabsichtige. Auch in der Frage des Angriffskrieges sei das Gericht vermutlich nicht zuständig, weil Jugoslawien sich der IGH-Rechtsprechung erst nach Beginn der Angriffe und nur für künftige Konflikte unterworfen habe. Eine ausführliche Prüfung könne aber erst im Hauptverfahren stattfinden, urteilte das Gericht damals.

Auch in den kommenden fünf Tagen wollen die 15 UN-Richter unter Leitung des Chinesen Shi Jiuyong zunächst nur die Zuständigkeit des Gerichtshofs prüfen. Die jugoslawische Seite hofft, dass der IGH diesmal anders entscheidet als 1999. Nach der ebenfalls ohne UN-Mandat durchgeführten Irakintervention könnte der Kosovokrieg heute in einem anderen Licht gesehen werden. Außerdem ist der Gerichtshof heute anders zusammengesetzt als 1999. Immerhin vier Richter sind inzwischen neu hinzugekommen, darunter der Deutsche Bruno Simma.

Der ganzen Verhandlung haftet etwas Anachronistisches an. Milošević ist nicht mehr an der Macht, und die Nachfolgeregierungen unter Zoran Djindjić und Vojislav Koštunica bemühten und bemühen sich um ein gutes Verhältnis zum Westen. Aus prozessualen Gründen erhält Serbien dennoch den eher abwegigen Vorwurf des Völkermords aufrecht, der bereits vor fünf Jahren für viel böses Blut sorgte.

Denn Staaten wie Deutschland, die sich nicht generell der IGH-Rechtsprechung unterworfen haben, können nur unter Berufung auf Verträge wie die UN-Völkermord-Konvention verklagt werden, die eine automatische IGH-Zuständigkeit vorsehen. Von ursprünglich zehn beklagten Nato-Staaten sind die USA und Spanien inzwischen aus dem Verfahren ausgeschieden. Sie lehnen die Zuständigkeit des Den Haager Gerichtshofs sogar bei Völkermordvorwürfen ab.

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