frau schwab lernt polnisch (9)
: Die Stunde, die ich schwänzte

In bester Absicht frage ich etwas, das übersetzt vielleicht nach „Enschulligu, is Zuk nach Godschuff?“ klingen dürfte

Die taz macht fit für den EU-Beitritt Polens am 1. Mai. Lernen Sie Polnisch mit Artur Kolasiński (Lehrer) und Waltraud Schwab (Schülerin). Die neunte Stunde:

„Ich will, dass Sie in Polen nicht verloren gehen“, hat Kolasiński zu Anfang des Sprachkurses ausgeführt und uns beigebracht, Dinge zu sagen wie: „Ich bin Touristin – Jestem turystką (sprich: turistkong)“ oder „Wo ist der Bahnhof – gdzie jest dworzec?“. Theoretisch wissen wir das. Und praktisch?

Peter, mein Schulfreund, war neulich in einem Dorf hinter der Grenze. Sobald er etwas auf Polnisch sagte, hätte sich auf den Gesichtern der Leute ein freundliches Lächeln gezeigt, schwärmte er. Sie hätten sich Zeit genommen, selbst wenn er bei „przepraszam (pschäprascham) – Entschuldigung“ das rollende R verschluckte und folglich mehr spuckte als sprach.

Das freundliche Lächeln – es wirkt wie ein Magnet. Das will ich auch. Deshalb schwänze ich. Anstatt in die Volkshochschule zu gehen, fahre ich nach Gorzów, früher auch als Landsberg bekannt. Etwa 140 Kilometer von Berlin ist die Stadt entfernt. Dafür braucht man im Zug drei Stunden. Am Bahnhof kaufe ich mir eine Hinfahrt in die polnische Stadt. Am Erwerb der Rückfahrkarte soll das Gelernte später geübt werden. Außerdem seien die Tickets in Polen so viel billiger, versichern mir Kenner der Szene.

Bis Küstrin schaue ich mir meine Aufzeichnungen aus dem Unterricht an und übe. In der Grenzstadt angekommen, steige ich in den einzigen Zug, der ohne jegliches Hinweisschild auf „Peron 2“ steht und frage eine Frau im Abteil in bester Absicht, es richtig zu machen, etwas, das übersetzt vielleicht nach „Enschulligu, is Zuk nach Godschuff?“ klingen dürfte. Sie blickt mich entsetzt an, sagt dann aber tapfer: „Tak, Goschuw“, also „ja“. Ich setze mich nicht zu ihr, weil ich mich schäme.

Die Landschaft, die sich auf der Fahrt in der Frühlingsonne entfaltet, entschädigt für Sprachlosigkeit. Felder, die im ersten Grün stehen, grenzen an einen immer blauer werdenden Himmel, den Störche und Enten durchziehen. Lattenzäune und Bäche umschließen die Äcker. Dazu blühende Kirschbäume und solche, die mit ihrem verästelten Schattenspiel noch den Winter, dessen Weggang nichts mehr aufhält, skizzieren. Unterbrochen wird die Landschaft von kleinen Dörfern. Kühe, Schweine und im Wind trocknende Wäsche, alte Traktoren, Holzstapel, Hühner und Truthähne sind zu sehen. Auch Frauen, die neue Beete ziehen in den kleinen Gärten hinter den Häusern, und spielende Kinder. Ein wunderbarer Tag ist es, um in Polen zu schwänzen, wäre ich nicht zurückgeworfen auf den Stand einer Dreijährigen, die ihre ersten Wörter sammelt. Solche wie budynek und zabytek und szczęśliwy, also glücklich.

In Gorzów angekommen, versuche ich als Erstes, Geld zu wechseln. Am Informationsschalter sage ich etwas, was sich wahrscheinlich so anhört: „Wo Bank. Ich hat nicht Zloty, nur Euro.“ Man versteht mich nicht. „Bank, Bank“, schreie ich beim zweiten Versuch. Als Antwort kriege ich das Wort „Centrum“. „Und wo Zentrum?“ Ich folge der Handbewegung, die man mir gibt.

An der nächsten Ecke frage ich wieder. „Schulligung, wo Zentrum?“ Der Mann macht eine andere Handbewegung, die ich mir merke, und fragt etwas, was ich nicht verstehe. Ich will sagen, ich verstehe nichts, aber der Satz fällt mir nur auf Französisch ein. Deshalb sage ich, „ich Tourist“. „Turist?“, antwortet er, lacht auf und geht weiter. „Wo Bank?“, frage ich daraufhin eine Frau. Sie zeigt in die gleiche Richtung, und richtig, kurz darauf kommt eine Bank, aber die ist geschlossen. Wie soll ich jetzt an Zloty kommen? Da entdecke ich einen Park mit Bach und See und Meerjungfrauen im Wasser und schreienden Kindern und flaniere erst mal in der Frühlingssonne, um mir neue Sätze auszudenken.

Als ich später doch noch einen „Bankomat“ finde, ziehe ich mir 100 Zloty, ohne zu wissen, wie viel das ist. Damit gehe ich zurück zum Bahnhof, um mir eine Fahrkarte zu besorgen, die am Ende viel teurer ist als die in Berlin gekaufte. Reklamieren kann ich nicht, weil mir die Worte fehlen, also bezahle ich den geforderten Preis.

Ein Café finden – dies soll meine nächste Aufgabe sein. Zuerst aber lande ich in der Kathedrale, die wie ein vergeistigtes Märchenland wirkt in ihrer prächtigen Farbigkeit. Hinter einem riesigen Blumenteppich hängt eine Fahne mit dem Spruch „Tak bóg umiłował świat“. Es muss was mit Ostern zu tun haben und mit Gott – bóg. Ich bewundere die Jungen und Alten, die hingebungsvoll vor den Blumen auf die Knie fallen, während draußen die Lastwagen von drei Seiten um die Kirche rattern.

„Nicht beten, Frau Schwab, Sie haben eine lebensweltliche Aufgabe zu bestehen“, ermahne ich mich und sehe vor dem geistigen Auge nicht den Auferstandenen, sondern einen Espresso. Aber ich finde keinen. Stattdessen die Stadtmauer, Pizza Hut, McDonald’s und eine Galerie. In die gehe ich hinein, schaue mir die Bilder an in der Absicht, in Wirklichkeit mit dem Aufpasser ins Gespräch zu kommen. „Ich lerne Polnisch, aber ich weiß nur ganz ganz wenig“, versuche ich zu sagen. Wie sich herausstellt, weiß ich noch nicht einmal das. Der Mann in der Galerie reagiert nicht unfreundlich. Auf jeden Fall freundlicher als der Bettler, dem ich aus Mangel an Zloty später 50 Cent in den Becher werfe. Er sagt etwas, das ich wie „Du willst mich verarschen“ interpretiere. Fast heult er und ich versuche vor lauter Schreck zu erklären, dass ich kein polnisches Kleingeld habe, nur Cent, was stimmt, weil ich die Fahrkarte mit EC-Karte bezahlen konnte. Dass ich ihm den 100-Zloty-Schein nicht geben will, kann ich ihm nicht sagen.

Kommunikation ist schwierig. Aufgeben aber will ich nicht. Das Wetter ist zu schön. Es kehrt die Farbigkeit und Lebendigkeit der Stadt hervor. Wahrscheinlich macht es die Menschen ohne Worte glücklich. Ich nehme es hin. An einem Imbiss trinke ich Tee und esse Brot. Der Wirt spricht Deutsch.

Auf dem Bahnsteig passiert dann aber doch ein Wunder: „Zug nach Küstrin? Hier?“, frage ich einen untersetzten älteren Mann. Der tritt einen Schritt zurück, als hätte ich ihn angegriffen, weil ich die Worte wie Steine aus mir herausbreche. Dann aber schenkt er mit das große, verschmitzte Lächeln, nach dem ich die ganze Zeit suchte. „Tak“, sagt er. „Tutaj.“ Ja. Hier.

WALTRAUD SCHWAB

Fragen? polnisch@taz.de