Betonkirche weicht einem Supermarkt

Eine marode Kirche an der Wollankstraße wird durch einen Supermarkt ersetzt. Überhaupt kommen dem Wedding die Protestanten abhanden

von Wibke Bergemann

Sie war von Anfang an als Provisorium gedacht. Nun wird die kleine Martin-Luther-Kirche in Wedding nach 42 Jahren abgerissen. Anfang Mai kommt der Betonbau in der Wollankstraße 84 unter die Abrissbirne. Das Grundstück ist bereits verkauft: Hier wird ein Plus-Supermarkt entstehen.

„Der marode Bau wurde unter sehr bescheidenen Bedingungen erbaut“, begründet die Sprecherin der Evangelischen Landeskirche den Abriss. Durch den Mauerbau war ein kleiner Teil der Martin-Luther-Gemeinde plötzlich von seiner Kirche im Ostteil der Stadt abgeschnitten. In dieser besonderen politischen Situation entstand 1962 der provisorische Neubau.

Wegen der veränderten Bedingungen werde die Betonkirche nun nicht mehr benötigt, sagt der stellvertretende Leiter des kirchlichen Bauamts, Matthias Hoffmann-Tauschwitz. Die Martin-Luther-Gemeinde wird künftig ihre Gottesdienste im Gemeindehaus abhalten, das nicht nur erhalten bleibt, sondern auch für 130.000 Euro ausgebaut wurde, finanziert durch den Verkauf des Kirchengrundstücks. Wer in eine richtige Kirche gehen möchte, kann an den Gottesdiensten im benachbarten St. Paul oder St. Stephanus teilnehmen. Beide Kirchen liegen nicht weiter als 500 Meter entfernt. Schon seit 1999 arbeiten die drei Gemeinden zusammen und teilen sich die Pfarrer. „Wirtschaftlich sinnvoll wäre es, nur einen Gottesdienst in einer der drei Kirchen abzuhalten“, sagt Andreas Hoffmann, Pfarrer in St. Paul. Denn alle drei Gemeinden leiden an Mitgliederschwund. Selbst in den denkmalgeschützten Sakralbau St. Stephanus, der eigentlich für 1.000 Besucher angelegt ist, kommen laut Hoffmann sonntags lediglich 30 Gläubige. Winters ist der Gottesdienst im Gemeindesaal statt, weil man sich nicht leisten kann, die Kirche zu heizen.

Doch so einfach lässt sich eine Fusion nicht umsetzen. „An einem Kirchenraum hängen Emotionen. Die Leute fürchten, ihre Identität zu verlieren“, erklärt Hoffmann. Zumal in einem Kiez, der sich rapide verändert. „Menschen deutscher Abstammung, also unsere Kirchgänger, wollen nicht mehr hier wohnen. Wer Kinder hat, zieht weg.“ In den letzten 15 Jahren habe sich die Mitgliederzahl in Hoffmanns Gemeinde halbiert.

Der Kirchenabriss in Wedding ist der erste in Berlin. Das Kirchenbauamt will weitere nicht ausschließen. Grundsätzlich sei eine Fremdnutzung von Kirchen etwa durch orthodoxe Gemeinden oder für große öffentliche Veranstaltungen immer einem Abriss vorzuziehen, so Hoffmann-Tauschwitz. „Aber es gibt auch Nutzungen, da würden wir sagen: Dann lieber Abriss.“ Undenkbar seien beispielsweise Spielcasinos in Kirchen.