Frieden auf dem Land der Ahnen

„Die Apartheidschergen gaben den Verwandten salzigen, trockenen Boden“, erzählt Ngakame

AUS BOONSMARTINA SCHWIKOWSKI

Der Bienenschwarm wird immer aufdringlicher. Brummend kriechen die Störenfriede durch die Ritzen des bröckelnden Fensterrahmens und treiben den alten Mann aus der Kühle seines mit mächtigen Rundsteinen errichteten Wohnzimmers. „Bienenalarm in meinem Haus! Wir gehen besser in die Bibliothek“, sagt er, lässt seine protestierende Frau mit der Plage und einem kräftigen Insektenspray zurück und schreitet eilig in seinen roten Wildlederschlappen über den Hof.

Das „Lesezimmer“ übertrifft alle Erwartungen. Johann Wolfgang von Goethe, Martin Buber und Nietzsche – die Buchauswahl will nicht zu einer Farm passen, die in einer abgelegenen Gegend liegt, Stunden von der Großstadt entfernt. Maurice Moeti Ngakame zieht den quietschenden Drehstuhl hinter seinem hölzernen Schreibtisch hervor und schaut auf die Stahlregale voller Bücher, die den dunklen Raum füllen. „Dies war mal eine Dorfschule, als mein Großvater das Grundstück 1912 kaufte.“ Seine braunen Augen blitzen, diese Bibliothek gehörte nicht zur Dorfschule. „Nein, das ist lange her. Ich habe meine eigenen Bücher aus Amerika mitgebracht.“ Der ergraute Professor der Philosophie und Psychologie ist voller Stolz, seine dunkle Haut glänzt im einfallenden Sonnenlicht.

„Mein Vater ist hier aufgewachsen, aber ich habe das Haus schon mit fünf Jahren verlassen.“ Ngakame ging zum Studieren nach Johannesburg, später ins Exil, zurückgekehrt ist er 1998. Damals war die demokratische Regierung, die das Apartheidregime ablöst hatte, gerade vier Jahre alt. Mehr als zwei Jahrzehnte verbrachte der 70-Jährige mit seiner Frau Nomsa in den Vereinigten Staaten. „Wir mussten gehen, ich war im Widerstand aktiv.“ Als er seine Heimat verließ, war die Farm des Großvaters in dem Landstrich Boons, nahe dem unscheinbaren Afrikaaner-Ort Ventersdorp in der Nordwestprovinz, bereits seit Jahren im Besitz eines Buren, der die 1.000 Hektar fruchtbares Ackerland für 52.000 Rand (heute etwa 6.500 Euro) gekauft hatte.

„Die Apartheidschergen haben die ansässige Verwandtschaft auseinander getrieben. Sie gaben ihr unbrauchbares Land weiter nördlich, mit salzigem Wasser und trockenem Boden“, erzählt Ngakane. Er spitzt seine Finger zu einem Dreieck und weist mit „Da kommen wir noch drauf“ jede Unterbrechung ab. In seinem Ton klingt ein leichter amerikanischer Akzent mit. „Doch Grandpa hat nicht nachgegeben und ist 1965 zwangsumgesiedelt worden.“ Ein Schicksal, das Millionen von Südafrikanern zu Landlosen machte. Die gesetzliche Grundlage für die Vertreibung war bereits 1913, ein Jahr nach dem Kauf der Farm, gelegt worden. Diese Regelung bevorteilte die Weißen und raubte den ursprünglichen Bewohnern Grund und Boden.

Die Partei der Schwarzen, der Afrikanische Nationalkongress (ANC) war seit 1960 verboten, ihr Anführer Nelson Mandela saß im Gefängnis. Während Ngakane in Ohio und in Kalifornien lehrte, unterdrückte die weiße Minderheitenregierung seine Landsleute. „Ich wäre nie zurückgekommen, hätten wir nicht den Familienbesitz hier gehabt“, sagt er. „Ich hatte gute Dollars dort. Aber die Amerikaner sind schon sehr intolerant und arrogant. Na ja, das Leben war das leichtere Übel für uns.“

Mit der Machtübernahme des ANC 1994 kam die Wende. Die damals beschlossene Landreform ermöglichte es nicht nur ehemaligen Besitzern, Grund und Boden zurückzufordern. Sie sollte auch die Umverteilung des Landes an unterprivilegierte Schwarze beschleunigen und den Arbeitern auf weißen Farmen Landrechte einräumen.

Ein äußerst langsamer Prozess, in den vergangenen zehn Jahren haben nur 3 Prozent den Besitzer gewechselt, obwohl man innerhalb der ersten fünf Jahre schon 30 Prozent umverteilen wollte. Aber noch immer befinden sich 80 Prozent des Landes in weißer Hand. Der „Amerikaner“, wie Ngakane von seinen Nachbarn genannt wird, vor denen er lieber den Professorentitel verschweigt, zählt zu der Kategorie der Erfolgsgeschichten. Seine Farm „Klipgat“, Afrikaans für Steinloch, ist seit zwei Jahren wieder im Familienbesitz. Ngakane hat im Namen von 200 Familienangehörigen die Farm beansprucht, und die Regierung zahlte nach Prüfung des Marktpreises 1,2 Millionen Rand, rund 150.000 Euro, an den weißen Vorbesitzer.

„Das ist unfair, denn eigentlich müsste die Partei der Apartheidregierung zahlen.“ Für Ngakame zahlt sich der Rückerwerb aus, Reichtum ruht unter der grünen Erde, denn ein Diamantengürtel durchzieht sie. Seinem Großvater gehörten damals auch Schürfrechte, und Ngakame verhandelt mit der Regierung, um auch diese Rechte zu bekommen.

Diamanten wirken wie ein Magnet, und eine nahe gelegene Mine in ausländischer Hand hat schon illegal gegraben. Doch unter seinen Brüdern, die noch in Amerika lebten, seien Anwälte. Der Professor will selbst Firmen zur Grabung beauftragen. Auch sonst hat die Familie große Pläne für die Farm „Klipgat“. Bald sollen Bohnen und Maisfelder die Hügel überziehen. Mit der Schweine- und Hühnerzucht haben sie schon begonnen. Hämmern schallt von der Senke herüber – vier junge Männer aus der weit verzweigten Familie zimmern am neuen Sauenstall.

Der Klan wird von der Vision getragen, Arbeitsplätze für Angehörige und Verwandte zu schaffen. Häuser und eine Schule zählen zum Rücksiedlungsplan, der von der Gemeinde und entsprechenden Regierungsbehörden geprüft wurde und später mitfinanziert werden soll. „Die nächste Generation wird sich hier wieder ansiedeln“, sagt Ngakame zufrieden. „Sie haben schon Papiere ausgefüllt und zugestimmt. Meine vier Kinder sind zwar echte Amerikaner, aber zwei sind schon hier.“

Er selbst stapft flink durch das Gestrüpp, sein Jeanshemd hängt lose über den Hosenbund. Ngakame blickt mit zusammengekniffenen Augen auf das weite Land. „Die Regierung hat etwas verpasst. Sie haben sich nicht klar gemacht, was es wirklich bedeutet, wenn sie Südafrika wieder zurückerhalten.“ Es fehle an Bewusstsein. „Die meisten Südafrikaner sind nicht mit ihrer Erde in Verbindung, dem Boden, der bestimmt, wer sie sind.“ Ein Verlust von Identität.

„Da liegt sie.“ Inmitten des weiten Feldes taucht die von einem Eisenzaun umgebene Familiengruft auf. „Meine älteste Tochter starb letztes Jahr“, sagt Ngakame. Er öffnet die Tür, bückt sich und wischt mit dem Ärmel ein paar Äste von der grauen Marmorplatte, die neben „Juanita“ Platz für weitere Namen lässt. Unterhalb des Grabsteins hat er Platz für die Urnen seiner Familie geschaffen. „Hier werden wir ruhen.“ Er lächelt. „Das ist die wirkliche Freiheit. Im Exil habe ich meiner Frau immer gesagt, wenn etwas passiert, soll meine Asche über dem Indischen Ozean verstreut werden.“ Doch Ngakame ist zurückgekehrt. Und das Grab seines Großvaters, mit dem hier alles begann, liegt nicht allzu weit entfernt. Durch das Exil sei die Familienbande noch stärker geworden als bei anderen, glaubt er.

Die Verhandlungen des ANC mit der Apartheidregierung vor dem Machtwechsel 1994 hatte einen hohen Preis. „Es ging nicht darum, die Unabhängigkeit zu erreichen, sondern einen Krieg zu vermeiden. Doch die Vision und Auseinandersetzung, wie sich Südafrikaner als Volk definieren, fehlt. Sie gehen mit ‚Ubuntu‘ zu locker um.“ Das afrikanische „Ubuntu“ – „Ich bin, wer ich bin, durch andere“ – spricht von Gemeinschaftssinn und ist von der schwarzen Regierung immer wieder als Losung für soziale Projekte und Motivation zur Bildung der Nation benutzt worden.

Der alte Professor diskutiert lebhaft, während er durch seine Felder zur Bibliothek zurückgeht. „Nelson Mandela, der hat das Kaliber. Er verkörpert das Ideal der Menschlichkeit, mit dem sich Südafrika, ja die ganze Welt, identifizieren kann“, schwelgt Ngakame. „Wenn er nicht mehr da ist? Die Frage erübrigt sich, denn das zeugt von europäischem Misstrauen gegenüber einer stabilen Regierung. Es wird weitergehen wie bisher.“ Mandelas Nachfolger, Thabo Mbeki, ist allerdings etwas „zu intellektuell“, zu abgetrennt von der afrikanischen Realität. Ein Staatsmann der Moderne mit kurzfristigen politischen Ideen.

In der Bücherei zieht Ngakame wieder ein Buch aus dem Regal und setzt sich in seinen Sessel. Er liebt die Bücher und die Debatten und findet Zuflucht in seiner Bibliothek, wenn er nachts nicht schlafen kann und sich Gedanken und Ideen hingibt. Seiner wiedergefundenen Heimat will er den Namen „Mathlapeng“ geben, ein Tswana-Wort für „Wo die Steine liegen“. Wenn der Familienklan zustimmt.