CHINA: ERFOLGREICHE STAUDAMMKRITIK ALS DEMOKRATISCHE LEKTION
: Das Scheitern eines Technikmonsters

Selten haben Kritiker der chinesischen Regierungspolitik einen solchen Durchbruch feiern können. Mit ausdrücklichem Verweis auf die Proteste der jungen Umweltschutzbewegung in China, die ernst genommen werden müssten, hat Premierminister Wen Jiabao ein milliardenschweres Staudammprojekt im Südosten des Landes gestoppt. Nie zuvor wurde in der Volksrepublik ein so großes Vorhaben – das alle Weltrekorde im Wasserbau schlagen wollte – zunächst von allen Behörden bis hinauf zum zuständigen Pekinger Ministerium genehmigt und dann, in letzter Instanz, in die Schublade gelegt. Das zeugt von Mut und rationaler Einsicht der neuen KP-Spitze, die letztes Jahr die Regierungsgeschäfte übernahm. Ihre Forderung nach einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung, die Rücksicht auf das wachsende Gefälle zwischen Arm und Reich nimmt und die ökologischen Folgen des Wachstums bedenkt, scheint also tatsächlich ernst gemeint zu sein.

Politisch bedeutungsvoll ist vor allem die Art und Weise, wie der Gesinnungswandel zustande kam. Staudammkritik ist in China ein Synonym für demokratische Öffentlichkeit. Ausgangspunkt dafür war die einst Aufsehen erregende Abstimmung, mit der der Nationale Volkskongress, Chinas parteikontrolliertes Parlament, vor über zehn Jahren den Bau des Dreischluchtendamms billigte. Erstmals in der Geschichte des Parlaments stimmte damals ein Drittel der Abgeordneten gegen die Regierungsvorlage. Einige Jahre später erlaubte Peking die Gründung von Nichtregierungsorganisationen im Umweltbereich, die sich inzwischen zu der einzigen ansatzweise funktionierenden Parallelöffentlichkeit gemausert haben – während die Regierung ihre Umweltbehörde 1998 zum Ministerium aufwertete.

So hat sich eine erfolgreiche Koalition aus kritischen Stimmen im Volkskongress, selbstbewussten NGOs und kompetenten Kritikern im Umweltministerium gegen das übliche Abnicken gebildet. Dabei fällt die Entscheidung in eine Zeit drohender Stromknappheit – umso wichtiger ist das Signal, dass sich in China künftig nicht alles nach den Forderungen der Wirtschaft richten wird, sondern die Natur eine Chance behält. GEORG BLUME