Ein Tritt auf die Spott-Bremse

Flensburg lag sich nach dem 32:27-Erfolg gegen den Rivalen Kiel in den Armen. Nicht nur, weil man kurz vor der Meisterschaft steht, sondern weil ein Team zauberte, das den Spott über Flensburg endlich beenden kann. Im Champions League Finale wartet nun Celje/Slowenien

Aus Flensburg Erik Eggers

Die Halle kochte, die Halle tobte, die Halle wogte. Die 6.000 Zuschauer feierten ausgiebig diese Momente, die eingehen werden in die deutsche Handballgeschichte. Viele lagen sich nach dem überraschend souveränen 32:27 gegen den großen Rivalen THW Kiel in den Armen, und einige waren derart ergriffen, dass sie sogar weinten. Weil sie eben mehr gesehen hatten als nur einen fulminanten Auftritt ihres Teams. Weil sich die SG Flensburg-Handewitt nicht nur einen entscheidenden Vorsprung im Rennen um die Deutsche Meisterschaft verschafft hatte: Drei Minuspunkte liegen zwischen dem Bundesliga-Spitzenreiter und dem nun härtesten Verfolger aus Magdeburg, nur fünf Spieltage vor Saisonende. Nein, einige Zuschauer weinten, weil ihnen bewusst wurde, dass dieses Spiel womöglich eine große Mannschaft geboren hatte.

Lag es am kirchlichen Beistand von ganz oben? „Ich zittere für die SG“, das hatte der nordelbische Bischof Hans-Christian Knuth im „Flensburger Tageblatt“ kundgetan, und nicht nur dieses Zitat dokumentiert die Hingabe, mit der die Menschen im strukturschwachen Norden der Republik den Handballsport verfolgen. Für das nächste Jahr aber wird Flensburg vermutlich das neue Handballzentrum, das schwante auch Manfred Werner, der Reiner Calmund der Flensburger Erfolgsgeschichte. Wie kaum ein anderer ist er, den alle „Manni“ nennen, für den rasanten Aufstieg dieses Klubs im letzten Jahrzehnt verantwortlich zu machen. „Manni, jetzt wirst ja doch noch Deutscher Meister“, rief ihm Kiels Manager Uwe Schwenker nach dem Spiel zu. Diese adelnde Aufmunterung bewegte Werner sehr: Seine Augen leuchteten, und leise verdrückte er ein paar Tränen. Zwei Jahrzehnte hatte er auf diesen Moment hingearbeitet.

Die Meisterschaft wäre schließlich das Ende eines Albtraums. In den letzten acht Jahren ist die SG Flensburg fünfmal nur Vizemeister geworden, abgesehen vom Gewinn des DHB-Pokals im letzten Jahr belegten der Klub insgesamt elfmal nur den zweiten Rang. Dabei tat besonders weh, dass sich der als arrogant empfundene Konkurrent aus der 80 Kilometer entfernten Landeshauptstadt reihenweise die Titel auf den Briefbogen drucken durfte. Die schlimmste aller Niederlagen ereignete sich vor zwei Jahren, als der Krösus aus Kiel am letzten Spieltag in Flensburg siegte und die gesamte Handballszene danach Spott und Häme über die „ewigen Zweiten“ aus dem hohen Norden auskübelte.

Natürlich: Diejenigen, die schon lange in Flensburg ihr Geld als Handballprofi verdienen, wehrten angesichts der unseligen Historie alle Glückwünsche ab. „So weit sind wir noch nicht“, wiegelte etwa Torhüter Jan Holpert ab, der die Kieler unter anderem mit vier gehaltenen Siebenmetern entnervt hatte, „wir haben noch schwere Spiele vor uns“. Für den dänischen Kapitän Sören Stryger „sieht es nun sehr gut aus“, doch auch er warnte vor voreiligen Gefühlsausbrüchen. Angesichts der Kraft und der Wucht des Hochgeschwindigkeitshandballs, mit der die SG die Kieler überrollt hatte, fällt die Vorstellung freilich schwer, dass der Tabellenführer noch ein Liga-Spiel verlieren sollte.

Nun ist sogar der Sieg auf allen Ebenen denkbar. Denn nicht nur für SG-Manager Thorsten Storm war der große Sieg gegen die Kieler „ein Schlüsselspiel für alle Wettbewerbe“. Er dachte dabei nicht nur an das Final Four Anfang Mai in Hamburg, bei dem Flensburg im Halbfinale erneut auf Kiel trifft und sich bei zuletzt fünf Siegen in Serie gegen den ehemaligen Angstgegner gute Chancen ausrechnet. Zuerst nämlich lockt die Champions League, in der Flensburg an den beiden nächsten Wochenenden gegen Celje (Slowenien) um den Titel spielt. Ein Erfolg in der europäischen Eliteliga wäre für viele Flensburger Fans schlicht das Größte: Läuft der große THW Kiel diesem Titel doch schon seit Jahren hinterher.