Renten-Streiks von Wien bis Paris

In Frankreich und Österreich bringen Angehörige des öffentlichen Dienstes mit Streiks das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen. Grund sind geplante Rentenreformen. Doch beide Regierungen scheinen entschlossen, ihre Projekte durchzuziehen

aus Paris DOROTHEA HAHN
, aus Wien RALF LEONHARD

Frankreich stand gestern weitgehend still. Beschäftigte zahlreicher Branchen – von der Post über die Finanzämter, Schulen und Krankenhäuser bis hin zu den öffentlichen Verkehrsmitteln und einigen großen Industrien – streikten erneut gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und gegen eine Absenkung des Rentenniveaus.

Ein großer Teil der Fluglotsen, die Mehrheit der Postler, ein großer Teil der Beschäftigten von 50 Verkehrsbetrieben sowie rund 40 Prozent der Eisenbahner wagten eine neue Machtprobe mit der rechten Regierung. Die Eisenbahner legten ihre Arbeit nieder, obwohl der SNCF-Chef einen Brief an jeden Beschäftigten geschickt hatte, um zu versichern, dass die „Rentenreform“ ihn nicht betreffe. In zahlreichen Provinzstädten fanden Demonstrationen mit mehreren zigtausend Teilnehmern statt.

Die Pariser Demonstration, die bei Redaktionsschluss der taz noch nicht abmarschiert war, blockierte da bereits einen großen Teil der Innenstadt. Nach Schätzung der Organisatoren zog sie mindestens 100.000 Menschen an. Vor acht Jahren musste eine andere rechte Regierung ein ähnliches Rentenprojekt angesichts einer vergleichbaren Protestbewegung zurückziehen. Dieses Mal bestätigte Staatspräsident Jacques Chirac, er wolle das Vorhaben nicht zurückziehen. Unterstützt wird seine Regierung durch die EU-Finanzminister. Sie forderten Frankreich gestern erneut auf, im nächsten jahr „Haushaltsdisziplin“ zu wahren und das staatliche Defizit auf 3 Prozent zu reduzieren.

Bis kurz vor dem neuen Aktionstag hatte die Regierung versucht, die Bewegung zu spalten. Am Montag erklärte sie, die Dezentralisierung der staatlichen Schulen werde verschoben. Auf den Herbst. Doch die Lehrer ließen sich nicht auf das Manöver ein. Nach Angaben des Erziehungsministeriums beteiligten sich rund 50 Prozent am Streik. Die Lehrer halten die Dezentralisierung der staatlichen Schulen für den „Anfang vom Ende der Gleichheit bei der Bildung“.

Zu dem Aktionstag hatten die größte Gewerkschaft, CGT, sowie drei weitere Gewerkschaften aufgerufen. Obwohl die Führung der zweitgrößten Gewerkschaft CFDT bereits vor Wochen einen „Rentenkompromiss“ mit der Regierung unterzeichnet hatte, mobilisierten auch zahlreiche Ortsverbände der CFDT zu dem gestrigen Streik und damit zum Protest gegen ihre eigene Führung. Gestern Nachmittag begannen Urabstimmungen in den einzelnen Branchen über eine Fortsetzung des Streiks. Bei Redaktionsschluss lag das Ergebnis noch nicht vor.

Streit über die Rentenreform legte gestern auch in Österreich das öffentliche Leben weitgehend lahm und löste die bisher größten Streiks der Zweiten Republik aus. Züge, Straßenbahnen, U-Bahnen und Busse blieben 24 Stunden stehen. Die öffentlichen Schulen stellten den Unterricht ein und in vielen Industriebetrieben lauschte die Belegschaft der Fernsehansprache von ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bleibt hart. Für ihn beweisen die Streiks, „dass der Reformunwille in weiten Teilen der Gewerkschaften viel zu groß ist“.

Doch ein Chaos stellte sich nicht ein. Auch die Verluste für die Wirtschaft, von Regierungsvertretern mit 100 Millionen Euro beziffert, dürften sich in Grenzen halten, da die meisten Betriebe nicht ausgelastet sind und die verlorene Zeit einarbeiten können. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl fürchtet allerdings Auswirkungen auf das Investitionsklima.

Den Wirtschaftsvertretern gehen die Konzessionen, die Schüssel vor zwei Wochen am runden Tisch machte, weit genug: Aufschub des Auslaufens von Frühpensionierungen und eine Deckelung von maximal 10 Prozent Verlust. Gerade diese Deckelung ist aber für die Arbeitnehmer ungerecht. Denn für einen Durchschnittsrentner, der maximal 1.100 Euro bekommt, sei der Verlust eines Monatseinkommens nicht zumutbar. Als Lösung hat die FPÖ vorgeschlagen, künftige Pensionen von weniger als 1.000 Euro nicht zu kürzen. Dann würde aber laut Theodor Tomandl, Leiter der Pensionsreformkommission, die Reform ihren Sinn verlieren. Denn Geld ist gerade bei den vielen Kleinen zu holen: Jede zweite Pension liegt unter 1.000 Euro.