„SPAREN BEI DEN ALTEN“ IST TEIL DES SPIELS: TRIFF DEN SCHWÄCHEREN
: Der Randgruppentest

Au ja, Senioren schocken. Mitten in die Debatte um die Gesundheitsreform den Vorschlag knallen, sich bei über 75-Jährigen teure medizinische Aktionen zu sparen. Wie lange hat „Report“ wohl nach einem Theologen und einem Volkswirtschaftler suchen müssen, die sich dazu offen bekennen mochten? Absehbar natürlich auch die Entrüstung von Gesundheitspolitikern und Ärzteschaft: „menschenverachtend“, „verrückt“ und so weiter.

Es ist eine gut gepflegte Tradition, sich der Ängste alter Menschen zu bedienen, um schwierige Diskussionen zu verplatten. „So weit sind wir schon, dass wir jetzt die Alten sterben lassen müssen“, denkt es sich da leicht. Gerne macht auch die Ärzteschaft so Politik: Unvergessen der Ausdruck „sozialverträgliches Frühableben“ des Exärztepräsidenten, der damit 1998, was sonst, die Gesundheitssparpläne der Bundesregierung attackierte.

Der öffentlich ausgetragene Wettstreit zwischen anklagendem Zynismus und abwehrender Entrüstung nutzt jedoch wenig. Die Frage der Zuteilung von medizinischen Leistungen würde sich immer stellen – selbst wenn die Hälfte des Bruttosozialprodukts in das Gesundheitssystem gepumpt würde. Jeder Arzt im Krankenhaus wägt ab, ob er einer 85-Jährigen den gleichen hochleistungsmedizinischen Aufwand zukommen lassen soll wie einer 25-Jährigen. Die Gesellschaft erwartet nichts anderes von ihm. Dort, in der Einzelfallentscheidung, ist die Frage der Zuteilung auch gut aufgehoben. Eine Norm, eine Jahresgrenze für alle lässt sich nicht formulieren, und das wissen auch die meisten Volkswirtschaftler.

Professoren, die sich nun genau dafür hergeben, machen bei dem beliebten Spiel „Triff die Schwächeren“ mit. In den Sozialsystemen wird gespart, also wird bei einer Randgruppe nach der anderen die Möglichkeit von Kürzungen durchdekliniert. Das dient dem Test, wofür sich Zustimmung finden lässt. Komisch eigentlich, dass die Empörungsreflexe zwar bei den Senioren noch funktionieren, bei den Arbeitslosen aber nicht mehr: Schließlich sind bald ebenso viele Leute von Joblosigkeit bedroht wie vom Alter. ULRIKE WINKELMANN