strafplanet erde: brutto- und nettozweisamkeit von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Ob es damit zu tun hat, dass Maren Gilzer zu ihrem Job als Hilfskrankenschwester in der Sachsen-Klinik auch den der Frauenbeauftragten ergattert hat oder mit der „Enttabuisierung des Ichs“, von dem man vorgestern unter Schrecken und Schaudern aus dieser Zeitung erfuhr, nicht ahnend, wie lange das schon so geht, ohne dass man davon wusste: Jedenfalls lag vor geraumer Zeit die Einladung zu einer Doppelhochzeit im Briefkasten, und wie seit circa einem Jahrzehnt bei jeder Hochzeit im Bekanntenkreis denkt man lahm, uninspiriert und träge: Komisch, plötzlich heiraten alle.

Das eine Paar war seit Ewigkeiten zusammen, das gemeinsame Kind erfolgreich eingeschult, also quasi „aus dem Gröbsten raus“, wie die Braut es feinsinnig ausdrückte, und deshalb sei es „umso irrer“, dass sie sich jetzt entschlossen hätten. Auf die Frage „Wie lange sie denn einklich schon …?“, schmetterte sie eine Gegenfrage durchs Telefon: „Meinst du brutto oder netto?“ Eingedenk der gelegentlichen Amouren ihres zukünftigen Gatten blieb keine andere Wahl, als sie für ihre ökonomische Denkweise zu loben. Das sei eine vorzügliche Voraussetzung für die staatlich sanktionierte Zweisamkeit und zeuge von kühlem Urteilsvermögen, ganz anders als jene Äußerung eines Philosophen, die nichts als steuergesetzliche Inkompetenz beweise: „Heirate oder heirate nicht, du wirst es bereuen.“

Bei der anderen Paarung handelte es sich um einen Scherz des Schicksals. Auf welchen Wegen es sich herumgesprochen hatte, war nicht mehr zu eruieren, noch, wie viel an der Geschichte nur Gerücht, wie viel üble Nachrede war, aber offenkundig hatten die dynamischen Mittvierziger in der Forty-Something-Disko Gefallen aneinander gefunden, erotisiert von Shakiras „Underneath your clothes / there’s an endless story“. Fortan – sie ließen kein Klischee aus – war dies „ihr Lied“. Ob sie bemerkten, dass das Album dazu „Laundry Service“ heißt und damit auf charmante Art die Extreme formuliert sind, zwischen denen eine sogar sexuell fundierte Partnerschaft oszillieren kann?

Um das Ende schon mal anzudeuten: Eine Zeit lang muss es das herausposaunte wilde Treiben gegeben haben („Ich wusste gar nicht, dass …“), aber dann (das war nachher den Sarkasmen in der Stammkneipe zu entnehmen) spielten sie beim Duett im Bett bloß noch Plattitüden in F.

Wenige Tage vor den Feierlichkeiten, die Vorbereitungen waren abgeschlossen, trafen sich die vier, um ganz entspannt einen Doppelkopfabend miteinander zu verbringen. Da fand der weibliche Teil des zweiten Paares zwei Kreuzdamen beim Auffächern der Karten: „Hochzeit! Erster Fremder geht mit“, sagte sie, wie es in Myriaden von Doppelkopfrunden schon gesagt wurde, ohne dass es jemand wörtlich nahm.

Irgendwas explodierte daraufhin lautlos. Was genau geschah und wann eigentlich; ob krakeelt wurde oder im Gegenteil klammes Schweigen folgte; ob giftige Blicke auf entlarvende antworteten; entsetztes Zischen auf hysterisches Geschrei: Eine Doppelhochzeit fand jedenfalls nicht statt.