„Die Amtssprache ist Teil der Identität “

Kervin Archut hat für die Göttinger Stadtverwaltung Formulare aus dem Amtsdeutsch in die Alltagssprache übersetzt. Die Gestelztheit, mit der sich Verwaltungsmitarbeiter häufig ausdrücken, nennt er ein Erbe der wilhelminischen Epoche

Die Göttinger Verwaltung wird mit Beginn des neuen Jahres die ersten bürgerfreundlichen Formulare ausgeben. Mit den Stimmen aller Fraktionen hatte der Stadtrat 2007 beschlossen, dass sich die Verwaltung verständlicher ausdrücken möge. Daraus wurde das Projekt „Bürgernahe Verwaltungskommunikation“. Mitarbeiter des studentischen Unternehmens „Sprachwerk“ schreiben zusammen mit Verwaltungsmitarbeitern behördliche Formulare um und ringen mit diesen um einen verständlicheren Ausdruck. In einem konventionellen Schreiben zum roten Kfz-Kennzeichen heißt es: „Gemäß §16 Abs. 3 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) wird Ihnen mit o.g. Datum das vorgenannte Kennzeichen, befristet für die Dauer von sechs Monaten, gerechnet vom o. g. Datum, zugeteilt.“ Die bürgerfreundliche Version lautet dagegen nun so: „Sie haben ein rotes Kennzeichen beantragt. Ich stelle Ihnen darum ab sofort das Kennzeichen GÖ-XY 55 zur Verfügung. Es ist für sechs Monate gültig, gerechnet ab heute.“ Zudem hat das Sprachwerk auch Verwaltungsausdrücke übersetzt: Aus einem „beitragsfähigen Aufwand“ wird die „Höhe des Beitrags“, aus einer „Versagung“ eine „Ablehnung“ und aus „benummerten“ werden schlicht „nummerierte“ Seiten. KNÖ

INTERVIEW GERNOT KNÖDLER

taz: Herr Archut, Sie übersetzen für die Göttinger Stadtverwaltung Formulare in verständliches Deutsch. Welches war der schlimmste Satz, der Ihnen dabei begegnet ist?

Kevin Archut: Die Sätze fand ich gar nicht so schlimm, die Wörter waren das Schlimme. Zum Beispiel „Luftverlastung“: Damit meinte man einen Krankentransport per Hubschrauber.

Haben Sie das auf Anhieb verstanden?

Man muss drüber nachdenken. Noch besser fand ich „Oberflächenwasser“. Auf meine Frage, ob das nicht nur Regen sei, erhielt ich zur Antwort: Das sei alles Wasser, das sich an der Erdoberfläche sammelt. Man dürfe es auf keinen Fall mit Regen gleichsetzen. Wir haben am Ende einfach „Niederschlag“ genommen.

Wie haben Sie die Formulare umgearbeitet?

Wir mussten an verschiedenen Stellen ansetzen. Zum einen mussten wir bestimmte Wörter, die heute nicht mehr gebräuchlich sind, in Alltagsdeutsch übersetzen. Dann mussten wir uns die Satzstrukturen vornehmen, die Sätze entpacken, etwas kürzer machen. Und dann haben wir uns auch das Layout vorgenommen, also die Überarbeitung der größeren Textzusammenhänge. Es ist sehr hinderlich, wenn Sie eine Aufforderung in einem langen Fließtext verstecken. Wir haben klar aufgelistet: Was muss man wann wie tun, um keinen Ärger zu bekommen.

Warum formulieren Verwaltungsmitarbeiter eigentlich so unverständlich?

In einer Amtsstube des wilhelminischen Zeitalters hatten Beamte eine andere Aufgabe als heute. Sie mussten den Staat gegenüber dem Bürger repräsentieren, der sich nach den Anweisungen der Obrigkeit zu richten hatte. Das machte man in der Architektur deutlich, etwa durch hohe Schreibtische. Auch mit der Sprache kann man sich über die Bürgerinnen und Bürger stellen. Als Deutschland sich in eine Demokratie verwandelte, wurde dieses Prinzip beibehalten, natürlich mit einer anderen Intention: Man wollte vor dem Gesetz keine Ausnahmen machen und hat deshalb versucht, sehr sachlich und nüchtern zu formulieren.

Sachlichkeit schließt Verständlichkeit ja nicht aus.

Das muss es auf keinen Fall bedeuten. Unsere Aufgabe ist es, das zu zeigen. Unter Sachlichkeit verstand man damals, dass man Dinge preußisch knapp formuliert, also viele Substantivierungen verwendet: „Sie müssen mir diesen Brief zur Vorlage bringen.“ Das klingt wunderbar hochgestochen. Stattdessen hätte man sagen können: Bitte bringen Sie mit diesen Brief vorbei. Dann ist gleich eine freundliche Komponente dabei.

Wie reagieren die Verwaltungsleute auf Ihre Tipps?

Wir wurden sehr freundlich und interessiert aufgenommen. Das hat man daran gesehen, dass die Mitarbeiter der Stadtverwaltung über ihre eigenen Formulierungen schmunzeln konnten. Gleichzeitig darf man ihnen keinen zu großen Vorwurf machen, da erstens viele Formulierungen vorgegeben sind, etwa in Formularen des Bundes. Zweitens ist die Ausbildung von den alten Prinzipien geprägt. Die Amtssprache ist Teil der eigenen Identität – und die lässt man sich nicht gerne nehmen.

Hatten die Beamten Schwierigkeiten, ihre eigenen Texte zu übersetzen?

An einigen Stellen schon. Jeder Verwaltungsmitarbeiter ist auch ganz normaler Sprachverwender und steht vor dem Problem, dass ein gewisses Vokabular erlernt werden muss.

Was tun Sie mit Fachbegriffen, die exakt definiert sind?

Es gibt Wörter, die man nicht übersetzen darf. Das sind Fachtermini wie „Bescheid“: eine Formulierung, an der man nicht rütteln darf, wenn man das Formular juristisch nicht aufweichen möchte. Unverständliche Begriffe, die nicht übersetzbar sind, sollten im Folgetext erläutert werden.

Was raten Sie jemanden, der verständlich schreiben will?

Orientieren Sie sich an Ihrer Alltagssprache. Sie haben auch hier alle Möglichkeiten, etwas auszudrücken. Wenn Sie darauf angewiesen sind, Ihre Autorität aufblitzen zu lassen, können sie das tun, in dem Sie eine distanzierende Formulierung verwenden, wie: „Ich fordere Sie auf“.