contra Ach, die Miesmuckels von nebenan

Die Konsequenz der Streikpolitik der IG Metall heißt: Teure Arbeit heißt gute Arbeit. Ob das dem Osten, seinen Noch-nicht-Arbeitslosen und Immer-noch-Arbeitslosen nutzt, ist da egal

Da wird Mutti selig sein. Seht ihr, wird sie den Schätzchen zujubeln, die artig am Schürzenbande hinter ihrer füllig-weichen Gestalt einhertrippeln, mit Haribo-Lutschern wohl versorgt: Papi gehört nun auch am Freitag uns, denn er hat mit der Solidargemeinschaft seiner Kollegen von der IG Metall endlich, endlich die 35-Stunden-Woche erkämpft, bei vollen Bezügen, damit ihr’s nur wisst. Vier Stunden länger darf er nun mit seiner Modell-Eisenbahn spielen. Oder er kann euch aus August Bebels gesammelten Werken vorlesen, was euch nicht nur erfreut, sondern auch bildet. Oder die Werke der Genossen Eisler und Brecht im Ernst-Busch-Arbeiterchor studieren. Oder mit Mutti im Rosa-Luxemburg-Club das Tanzbein schwingen. Kinder, begreift es nur: Das Leben hat eine edlere Qualität gewonnen. Und wem danken wir den Fortschritt, der uns die herrlichsten Zeiten verspricht? Dem Kollegen Jürgen Peters, dem Prachtmenschen mit dem traditionsstarken Knebelbart, der als Nachfolger des großen Zwickel den Ost-Metallern wie eurem Vati als Erstes die Gleichberechtigung mit den Wessi-Brüdern errungen hat, die Waffe des Streiks nicht scheuend.

Es ist geschafft, liebe Kinder. Gewaltiges hat der Kollege Peters für die innere Einheit des Vaterlandes geleistet. Die Miesmuckels von nebenan, die leider das herbe Geschick der Erwerbslosigkeit getroffen hat, werden nicht weniger stolz auf den neuen Metall-Führer sein als wir. Denn unser Sieg ist auch der ihre. Sie begreifen es durchaus, und auch ihr seid nicht zu klein, um es zu verstehen: die 35-Stunden-Woche bei gleichem Lohn beweist den Arbeitgebern, dass man uns das West-Niveau nicht länger absprechen darf. Hört gut zu: wir haben damit den Herren mit den dicken Euro- und Dollar-Kontos, die nicht wissen, wohin mit dem Geld, ein für alle Mal bewiesen, dass sie nirgendwo sicherer und produktiver investieren können als bei uns. Teure Arbeit heißt gute Arbeit, merkt euch das. Papi sagte, auch wenn sie seinen Arbeitsplatz vorübergehend wegrationalisieren sollten, so bleibe dies doch wahr: der Osten hat, wie Deutschland überhaupt, nur eine Zukunft als Teuer-Lohn-Land. Irgendwann werden auch die Miesmuckels davon profitieren. Darum wollen wir heute Abend mit ihnen feiern. Und dem Kollegen Peters werden wir eine E-Mail senden, die ihm versichert, dass er jeden der Aufsichtsratssitze, die er von seinem Vorgänger Zwickel erbt, schon jetzt, mit einer Großtat in der Geschichte der Arbeiterbewegung, mehr als verdient hat. KLAUS HARPPRECHT