Blumen statt Müll

Eine Erkundungsreise mit dem Fahrrad von Bitterfeld bis Magdeburg. Die einstige Region der Chemieindustrie soll mit Natur verschönert werden

„Wir begegnen kaum anderen Menschen. Es ist nicht laut. Es stinkt nicht“

VON CLARA LUCKMANN

Ein Traum von einer Parkanlage! Große, alte Laubbäume, Sandwege durchziehen den gepflegten Rasen und prächtige Blumenbeete. Kanäle schlängeln sich hindurch. Über wunderschöne Brücken aus Holz oder Steinen spazieren Besucher.

Schnell die Fahrräder beim Wirt gegenüber abgestellt, betritt die 18-köpfige Gruppe von Bildungsurlaubern aus Ost und West den Wörlitzer Park. Vom Wasser aus erklärt uns der Gondoliere das Gartenreich. Vor gut 200 Jahren zeigte der feudalsozialistische Fürst Franz eine neue Lebenskultur auf, in der die Ideale von ökonomischer Sinnhaftigkeit und sozialer Gerechtigkeit ihren Ausdruck fanden – in seiner Parklandschaft. Freier Zutritt für alle und Schulbildung für seine Untertanen inbegriffen.

Der englische Einfluss auf die Gartengestaltung, verbunden mit einer Mischung aus mediterranen und klassizistischen Baustilen, ist etwas Besonderes. Das gab es bis dahin in der europäischen Gartenkultur ebenso wenig wie die hier angelegten Sichtachsen zwischen christlicher Kirche und jüdischer Synagoge.

Diese Mischung aus beeindruckendem Prunk und emanzipatorischen Ideen ist für die Bewohner dieser Region heute eine wichtige Lebensgrundlage: Von der Unesco als Kulturerbe geschützt, zieht der Park viele Touristen an.

Das kann man von Bitterfeld – Synonym für menschen- und umweltverachtende Industrieproduktion – nicht gerade behaupten. Wir radeln unter einem hoch liegenden Röhrensystem kilometerlang durch das Industriegelände. Vorbei an leer stehenden wie an genutzten Fabrikgebäuden, vorbei an mager bewachsenen Brachflächen. Wir begegnen kaum anderen Menschen. Es ist nicht laut. Es stinkt nicht. Die Sicht ist weit.

Von hier wurden zwei deutsche Weltkriege mit Sprengstoff und U-Booten versorgt. Hier produzierten die IG Farben das Massenmordgas Zyklon B. Und in der „Apotheke der DDR“ wurde die Chemieproduktion weitergeführt.

Bitterfeld, eine gesamtdeutsche Gift- und Dreckschleuder!

Von 50.000 Jobs im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen sind 10.000 übrig geblieben. Sehr viele Beschäftigte arbeiten – noch – an der mehr oder weniger ökologischen Sanierung der Areale. Noch lagern Unmengen des Giftmülls in den alten Kohlegruben, kontaminieren das Grundwasser oder werden es zukünftig tun.

Der „Silbersee“ mit den chemischen Abfällen der Filmherstellung von zunächst Agfa, später Orwo, wird aufwändig mit Filtern und Brunnen gereinigt und soll später ein Naherholungsgebiet werden. Grünanlagen, Bäume, Wege zum Flanieren – alles schon da. Auch der See sieht nett aus. Doch der Zutritt ist noch verboten. In der benachbarten Grube Antonie liegt hochgiftiger Müll. Zum Teil wird er umlaugt, damit der Boden abgedichtet werden kann. Nur knapp davor machte die Elbe mit ihrem Jahrhunderthochwasser 2002 hier Halt.

Im Südosten von Bitterfeld: die Bergbau-Folgelandschaft Goitzsche. Ein scheinbar unendliches, leicht hügeliges Gelände mit Wäldern, Wiesen und großen Seen – ehemaligen Tagebaugruben.

Der BUND hat tausend Hektar „Wildnis“ in der 60 Quadratmeter großen Goitzsche erworben. Er will hier, unterstützt von der Bundesumweltstiftung, „die einmalige Chance nutzen, Wildnis, Kulturlandschaft und Landschaftskunst in einen Dreiklang zu bringen und erlebbar zu machen.

Begeistert berichtet Reinhard Metzner vom BUND beim gemeinsamen Radeln von den Veränderungen: aufgeforstete Monokulturen (Pappeln, Schwarzkiefer, Roteichen) wechseln sich mit Wildnis, Auen und Seen ab. Hier spontane Neuanpflanzungen durch Windsaat – dort wurde schon in den 70er-Jahren aufgeforstet. Auf den ehemaligen „Pfaden der industriellen Landschaft“ treten wir Kamille und Gräser nieder, schrecken Schmetterlinge auf, kommen an Dixie-Klos mitten im Naturschutzgebiet vorbei.

Auch Dessau mit dem damals wie heute aktiven Bauhaus gehört zur Tour. Im „Koch-Haus“, liebevoll von einer Bewohnergenossenschaft restauriert, sind wir mit der Soziologin bei der Stiftung Bauhaus, Dr. Babette Scurrell, verabredet. Sie setzt auf lokale Ökonomie, Nutzung erneuerbarer Energien und Ökolandbau. „Wenn dies dann miteinander vernetzt wird, hat man kurze Wege und kleine flexible Einheiten.“

Die Mittvierzigerin will auch mit einer „Zukunftswerkstatt“ ausloten, welche Ressourcen diese Region für die Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung bietet. „Die groß angelegten Projekte wie der Bau von 600-Betten-Hotels in der Goitzsche werden nicht erfolgreich sein. Aber kann der sanfte Tourismus eine ganze Region ernähren? Wie lange bleibt Industriekultur als Museum interessant?“

Weiter geht es durch die Acker- und Grünflächen des Biosphärenreservats Flusslandschaft Mittlere Elbe. Ernst Paul Dörfler, schon zu DDR-Zeiten ein unermüdlicher Aktivist für diesen Fluss und seine Auen, berichtet von den Aktivitäten zum Erhalt dieses „wohl kostbarsten Gebiets entlang der Elbe“.

Wir hören ihm zu und lauschen noch bewusster den zwitschernden, singenden oder klappernden Stimmen der Natur, dem Rauschen der Gräser im Wind, dem Gurgeln des Elbwassers.

Blühende Landschaften. Eine Erkundungsreise mit dem Fahrrad von Bitterfeld bis Magdeburg vom 21.–25. Juni 2004. Täglich 30 bis 60 km, keine Pkw-Begleitung. Anerkannter Bildungsurlaub. Veranstalter: Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung, Kottbusser Damm 72, 10967 Berlin, Tel.: 030 - 611 289 67, Fax: 030 - 618 30 11 www.bildungswerk-boell.de