Kügelchen und Schneeballsystem

Weil der Besuch beim Hausarzt teurer wurde, gehen viele Patienten gleich zu Heilpraktikern. Ob die Gründung einer solchen Praxis eine gesunde Geschäftsidee ist, hängt vom richtigen Businessplan ab. Ein breites soziales Netzwerk hilft beim Start

VON MARTINA JANNING

„Die Gesundheitsreform treibt uns die Patienten direkt in die Praxen“, freute sich Berthold Mülleneisen vom Freien Verband Deutscher Heilpraktiker (FVDH) vor einigen Monaten anlässlich des 13. Deutschen Heilpraktikerkongresses in Karlsruhe. Zehn Euro Praxisgebühr und erhöhte Zuzahlungen zu Medikamenten – da geht mancher lieber gleich zum Heilpraktiker. Außerdem liegen alternative Heilmethoden im Trend. Anders als vor einigen Jahren suchten vor allem deutlich mehr jüngere Patienten Naturheilkundler auf, so der FVDH. Heilpraktiker werden – eine gesunde Geschäftsidee?

Im Jahr 2002 zählte das Statistische Bundesamt 18.000 tätige Heilpraktiker in Deutschland, davon zwei Drittel Frauen. Auf alle verteilen sich rund 15 Millionen Patientenbehandlungen im Jahr, berichtet die Union Deutscher Heilpraktiker (UDH). Gute Erfolgsaussichten für eine Praxis versprechen laut Berufsverbänden vor allem klassische Verfahren wie Homöopathie und traditionelle chinesische Medizin. Steigende Akzeptanz erführen manuelle Heilmethoden. Besonders angesagt sei derzeit die Bioresonanz-Therapie, die zum Beispiel bei Allergien und Gelenkschmerzen angewendet werden kann. Doch: Allein das dafür benötigte Gerät kostet so viel wie ein Kleinwagen. Eine Anschaffung will also gut überlegt sein, vor allem bei einer Existenzgründung.

„Bis sich ein neuer Heilpraktiker etabliert hat, dauert es mindestens fünf Jahre“, urteilt Monika Gerhardus, Vorstandsvorsitzende der UDH. Viele müssen vorher aufgeben. Gerade jüngere Berufskollegen hätten oft nicht das Geld, um anfängliche Schwierigkeiten bei einer Praxisgründung durchzustehen, resümieren die Deutschen Heilpraktikerverbände (DDH), ein Zusammenschluss von sechs Berufsverbänden. Das Hauptproblem: Es kommen keine Patienten.

Heilpraktiker sind mehr als andere Freiberufler auf Mundpropaganda angewiesen. Anzeigen oder Handzettel sind teuer, ihre Werbewirksamkeit ist umstritten. Außerdem müssen sich Heilpraktiker an das Heilmittelwerbegesetz mit seinen sehr genauen Vorgaben halten. „Heilpraktiker brauchen ein positives Schneeballsystem“, sagt Gerhardus. „Das entsteht durch erfolgreiche Behandlungen. Dazu wiederum ist es wichtig, mit einem guten Grundwissen in die Praxis zu gehen.“ Wer als Heilpraktiker Hand an Patienten legen darf, hat seine Kenntnisse zwar in einer amtsärztlichen Überprüfung bewiesen. Die ist sehr schwer, rund 70 bis 80 Prozent der Prüflinge fallen durch. Doch: Auch die Erfahrung eines Heilers beeinflusst den Erfolg einer Therapie.

„Marketing für ihre Praxis zu machen, ist für Heilpraktikerinnen oft ein größeres Problem als für männliche Berufskollegen“, sagt die Unternehmensberaterin Marie Sichtermann, die sich auf Frauen in Heilberufen spezialisiert hat. „Frauen kennen meist weniger Leute als Männer. Wer sich in den vergangenen fünf Jahren bekannt gemacht hat, weil sie zum Beispiel im Kreistag saß, in der Schule Ämter übernommen hat, im Sport oder in einer Initiative aktiv war, hat kein Problem bei einer Praxisgründung. Ansonsten heißt es: Schleunigst solche Beziehungen aufbauen.“ Außerdem wichtig: „Kunden kommen nicht gern zu jemandem, der in Not ist. Sie gehen lieber zu einer strahlenden, kompetent erscheinenden Persönlichkeit.“

„Ich habe vor zwanzig Jahren einfach angefangen“, erzählt die Berliner Heilpraktikerin Lissy Schonauer-Schütz. Als Aktive im Berufsverband für Heilpraktikerinnen Lachesis rät sie heutigen Gründerinnen vorab zum sorgfältigen Check.

Sinnvoll und von der Bundesagentur für Arbeit sogar gefordert, wenn sich ein Arbeitsloser als Heilpraktiker selbstständig machen will: ein Businessplan, der eigene Stärken und Konkurrenten analysiert. Unerlässlich ist zudem eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit. „Eine Selbstständigkeit bringt in erster Linie Kosten“, verdeutlicht Beraterin Sichtermann. Daher sei die entscheidende Frage: Wie teuer muss eine Stunde Behandlung sein?

Dabei sollten neben Miete und Nebenkosten, auch Fortbildungen, Arbeitsmittel, Berufshaftpflicht und Praxisreinigung einkalkuliert werden. „In Seminaren zeigt sich, dass die Frauen die Kosten meist um die Hälfte niedriger schätzen, als sie sind“, sagt Sichtermann. „Viele bedenken die Zinsen für einen Kredit, vergessen aber dessen Tilgung. Außerdem legen sie oft kein Geld für nötige Anschaffungen zurück.“

Um das Risiko zu senken, sollten Heilpraktiker nebenberuflich starten, rät Sichtermann. Viele richten ihre Praxis zunächst zu Hause ein, andere fürchten, dadurch unprofessionell zu wirken. Gute Erfahrungen haben die meisten mit einer Praxisgemeinschaft gemacht. Sie reduziert Kosten und bietet Austausch mit Fachkollegen. Sichtermann: „Auf jeden Fall sollte man sich vor einer Gründung Unterstützung sichern – in Form von Zuspruch, konkreter Hilfe und Geld.“