frau schwab lernt polnisch (8)
: Die Stunde des Schocks

von WALTRAUD SCHWAB

Die taz macht fit für den EU-Beitritt Polens am 1. Mai. Lernen Sie Polnisch an der Volkshochschule Mitte mit Artur Kolasiński (Lehrer) und Waltraud Schwab (Schülerin). Die achte Stunde:

Es ist noch schlimmer gekommen. Denn heute hat Kolasiński, unser Lehrer, aus seiner Zaubertasche einen neuen Zauberzettel herausgezogen. Drauf stehen 300 neue Wörter, die wir zwecks Ausspracheübung lesen sollen. Budynek – Gebäude, das erste Wort, das sich wie ein Ohrwurm in mir festgesetzt hat, ist ein Kinderspiel dagegen. Auch zabytek, Denkmal, das sich durch ständige Wiederholung ebenfalls in meine Gehirnwindungen eingeschrieben hat, ist nicht zu vergleichen mit dem, was Kolasiński uns nun zumutet. Selbst ździebełko (sch-dschäbewko), das Wort, das ich seit neuestem als geistiges Eigentum mit mir herumtrage, ohne seinen Wert, sprich seine Bedeutung, zu kennen, mutet geradezu spielerisch an. Dabei ist in ździebełko jenes durchgestrichene l, das aus meiner Sicht allein schon eine phonetische Gemeinheit ist. Gesprochen wird es wie ein gehauchtes w. Die phonetische Dramatik des ł kommt richtig zur Geltung, wenn es von weiteren Konsonanten eingekreist ist. Ähnlich dramatisch wie eine Madonna, die von dornenvollen Rosen verziert daherkommt. In Polen nichts Seltenes, bestätigt mir Peter, mein Schulfreund. Okay, der Vergleich ist weit hergeholt, weil ein gehauchtes w sicher nichts mit einer Mariendarstellung zu tun hat, aber ich hoffe, Sie verstehen die Schicksalsmystik, die sich dahinter verbirgt. Wer eine Sprache lernt, will sich schließlich verständigen und nicht dauernd wie eine über die Aussprache stolpernde Idiotin dastehen.

Zurück zu Kolasińskis Zettel. Ich bin geneigt, heute ausschließlich davon zu erzählen. Kolasiński hat ihn aus seiner Tasche gezogen, aber im Nachhinein kann ich sagen, dass bei seiner Handbewegung was nicht stimmte. Wie bei einem Suchbild: Finden Sie den Fehler.

Kolasiński ist aufgestanden, als er den Zettel aus seiner Tasche holte. „Ach so, ach ja, machen wir das zuerst“ hat er gesagt. „Wir sind jetzt über der Halbzeit des Kurses. Da muss ich Sie noch mit etwas bekannt machen.“ „Mit etwas“, wie sich das anhört! „Die Zischlaute könnten wir ja nun“, meinte er. So viel Optimismus tut gut. Mein für Feinheiten offenbar ungeeignetes Ohr hat mir bisher alleine sechs verschiedene Schreibvarianten für ein „sch“ beschert: 1 – sz, 2 – si, 3 – ś, 4 – ż, 5 – ź, 6 – zi. Wie ich mit deren Unterschieden umgehe, das behalte ich jetzt der Fairness wegen für mich.

„Außer den Zischlauten gäbe es noch die Nasale zu üben. Nur zwei seien es: ą, ausgesprochen ong, und ę, ausgeprochen äng“, meint Kolasiński und legt den Zettelhaufen vor Michael, den Fußballfan, auf den Tisch, damit sich jeder einen nehme und den Rest weitergebe. Daran erkennen wir Schüler und Schülerinnen, dass hier mit heißer Ware gehandelt wird: Woran KolasińĽskis Herz hängt, das teilt er persönlich aus.

Optisch wirkt der Fetzen Papier, der vor mir liegt, ansprechend. Auf der oberen Hälfte stehen die Wörter mit doppeltem Zeilenabstand. Als gönne man uns ein Verschnaufen. Unten stehen sie eng nebeneinander. Zu lesen sind Sachen wie: oszczędny, częstość, dążyć, zwyciężyć, szczęscie, szczęśliwy. Ausgesprochen werden soll das angeblich etwa so: oschtschängdne, tschängstoschdsch, dongschidsch, tzwischängschidsch, schtschängs-schiä, schtschängschliwy. Garantie übernehme ich keine. „Szczęscie“ (schtschängs-schiä) soll übrigens „Glück“ heißen und „szczęśliwy“ (schtschängschliwy) gar „glücklich“. Ich kann es nicht glauben!

„Dass man mit so einer Sprache überhaupt in die EU aufgenommen wird?“, entrüstet sich meine Freundin, als ich ihr meine Fortschritte präsentiere. „Dass die Kinder in Polen die Sprache überhaupt lernen. Es muss doch eine riesige Zahl von Sprechverweigerern geben in dem Land. Mutismus kann niemals ein Fremdwort sein dort“, räsoniert sie weiter. Sie ist übrigens im Wedding geboren und, um ganz ehrlich zu sein, den Akkusativ kann sie, wie es für richtige Berliner normal ist, vom Dativ nicht unterscheiden. Dies, obwohl ihre Urgroßmutter eine Polin war! Oder gerade deswegen?

Was meinen Sie? Antworten an: polnisch@taz.de