Rascheln unter dem roten Rock

Wer den Kern finden will, muss den Kitsch erdulden, und das kann Spaß machen. Im Dock 11 erzählt Nir de Volff, Tänzer aus Israel, mit dem Stück „Dolly in the City“ ein Märchen von der Sehnsucht nach Glamour. Ein bisweilen irrer Klamauk

Gehüllt in einen roten Kapuzenmantel wird sie hereingeschleift wie eine Puppe. Kapuze vom Kopf, staubblonde Perücke und Silberplättchentop freigelegt: Da ist sie, Ursula. „She wants to be a beauty queen“, lässt der Träger der Puppe wissen, „but she isn’t.“ Dann erzählt er ihre Geschichte, die wir im Herzen tragen und von Seele zu Seele weitergeben sollen. Ursula macht mit wedelnden Gliedern die Gesten dazu, ganz Glamour des zweiten Rangs.

Ursula, die Protagonistin der Erzählung, die am Anfang von Nir de Volffs Tanzstück „Dolly in the City“ steht, will eine Dolly sein, eine Kopie von Schönheiten also, nur in diesem Gleichsein mit anderen ein wenig besser als die anderen. De Volff erzählt ihre Geschichte, wie man ein Märchen erzählt. Er spielt all dessen Momente aus: das Fantastische, den Wendepunkt und die Moral.

Ursula träumt von der eigenen Beerdigung, zu der niemand erscheint. Das ist der Wendepunkt, der Abschied vom Glanzverlangen, Umzug in die Berge und das Warten auf das Schicksal folgen. Es ist eine Erzählung der leeren Höhepunkte, zur Sinnstiftung denkbar ungeeignet. Worauf sie verweist, ist der Wunsch, die Dinge mögen sich doch sinnvoll reihen. Er wird wieder und wieder verweigert.

„Dolly in the City“ ist eine lose Abfolge von Erzählfragmenten, die in surreale Szenarien abgleiten, mal von stillem Zauber, mal ins Kitschige, Trashige oder Brutale überführt. Da sind die großen Ringe, die mal Haus sind und mal Hullas. Die Reifen lassen ihren Träger fliegen, rahmen sein wissendes Gesicht oder die Sätze, die er dem Geschehen anzupassen sucht: „Ich suche dich, ich habe dich verloren, ich finde dich nicht mehr.“ Und plötzlich der Mann: die Boxershorts weit nach oben gezogen steht er da, unbeholfen, einen kleinen Teppich um die Hüften geschlungen. „Everybody’s fucking but me“, singt er monoton, bis ihn ein Duo in blumengemusterten Verführungskitteln entführt.

Da ist die Frau in Rot, unter dem weiten Rock raschelt es verdächtig, und dann ist die kleine Frau zur großen geworden: Unten tanzt das rot bestrumpfte Männerbein, oben lässt sie elegisch die Arme fliegen. Die große rote Frau hat Nir de Volff einmal in Amsterdam gesehen: durch drei Fenster im Café, allerdings als optische Täuschung. Von Alltagsszenen geht er aus, Interaktionen auf der Straße, die man umso mehr bemerkt, wenn man neu ist an einem Ort. In Israel ausgebildet, lebt de Volff seit eineinhalb Jahren in Berlin, tanzt bei Constanza Macras, choreografiert eigene Stücke. Was ihn interessiert, sagt er, sei eine Art Kino auf der Bühne.

Es ist ein bisweilen irrer Klamauk, der sich auf der Bühne entfaltet, wenn das Akrobatische und das Tänzerische zurücktreten und das Herumtollen in den Vordergrund dringt, wenn der Fußball nicht mehr zum Tanz dient, sondern die Bühne zum Spielfeld wird. Oder wenn sich die weiße Unterwäsche der am Boden zuckenden Männer vom falschen Blut langsam pink färbt: Ihr Hintergrund ist die Tänzerin in taubenblauer Tüllrobe. Sie hat jemanden verloren, nach dem sie jetzt ruft; leichten Schrittes weht sie über die Bühne, hat Laub dabei im gerafften Rock, lässt es fallen und ist überhaupt ganz Natur. Und unerbittlich gleitet die Panflöte von einer lieblichen Harmonie in die nächste.

Das ist ziemlich kitschig. Doch kitschig muss es sein. Denn am Ende gibt „Dolly in the City“ der Geschichte von Ursula doch eine Moral: dass der Kitsch einen Kern hat. Wer den Kern finden will, muss den Kitsch von ihm ablösen. Dafür muss man ihn erdulden – und das Erdulden macht Spaß. KATRIN KRUSE

„Dolly in the City“. im Dock 11, Kastanienallee 79, 10. und 11. 4., 20.30 Uhr