Skandal im Sperrbezirk Bethanien

Eine Ausstellung im Bethanien erregt die Gemüter. Kinderschutzbund und Springer-Presse wettern gegen „Pädophilie“. Besucher zerstört Bilder. Dabei hat das die mäßige Ausstellung nicht verdient

VON MEIKE JANSEN

Die Idee zu der umstrittenen Ausstellung „When Love Turns To Poison“ liegt eigentlich 140 Jahre zurück. Damals inszenierte der Maler Édouard Manet sein Lieblingsmodell Victorine Louise Meurent nackt und vor allem jenseits des damals üblichen historischen oder mythischen Kontexts. Die erste öffentliche Präsentation der „Olympia“ führte 1865 zu einem Skandal, der die Debatte um Kunst, Sexualität und bürgerliche Identität noch heute prägt.

Der Bedarf an dieser Debatte ist unübersehbar. Erst zog der Kinderschutzbund gegen die Ausstellung im Bethanien zu Felde. Dann die Springer-Presse. Vermutlich dadurch angeregt zerstörte gestern ein Mann dort gezeigte Fotografien von Thomas Hauser.

Dass allerdings ausgerechnet die eher mäßig zusammengestellte Gruppenschau im Kunstraum Kreuzberg im Mittelpunkt eines Skandals steht, ist verwunderlich. Zu viele Positionen, die für eine zeitgenössische Betrachtung des Verhältnisses zwischen KünstlerIn und Modell wichtig sind, fehlen. Der Mann als Lustobjekt bleibt nahezu außen vor. „Nicht“, so Stefan Bauer, Leiter des Kunstraums, „weil solche Positionen nicht erwünscht waren. Es scheint sie kaum zu geben.“

Nichtsdestotrotz erfüllt die Ausstellung seit gestern ihren Anspruch. Die Debatte um Sexualität in der bildenden Kunst ist eröffnet. Die Argumente der Boulevardpresse aber muten mehr als abenteuerlich an. So wurden etwa die zerstörten Fotografien von Frauen in Unterhosen als Mädchen in durchsichtigen Slips angeprangert. Die Stoppeln des rasierten Schambereichs unter dem leichten Stoff lassen schnell deutlich werden, dass es sich bei den Modellen, mit denen Hauser gearbeitet hat, nicht um Kinder handeln kann. Aber wer mag schon noch genau hinschauen, wenn ohnehin an jeder zweiten Ecke eine barbusige Schönheit lächelt? Nur kann man eben auf der Straße nicht so ungeniert stehen bleiben und den Frauen auf die Brüste spannen und bitte schon gar nicht zwischen die Beine. So scheint gleich in einer Kollapsreaktion der gesamten Ausstellung der Pädophilie-Stempel aufgedrückt werden zu müssen.

Weiter geht’s: Ohne Skrupel wurde in der Bild ein Gemälde Hausers für den Druck aufbereitet und so ein weißer Farbschleier, der dem Original einen Kommentar verlieh, entzogen. Und wenn Stu Mead einen Teenager mit entblößtem Po am Strand spielend malerisch auf der Leinwand festhält, bedeutet das noch lange nicht, dass die Beine des Mannes am Bildrand von Missbrauch künden – eher von den Fantasien der BetrachterInnen, aber genau die gilt es zu überprüfen. Wenn nicht in einem künstlerischem Kontext, wo denn dann?

Sicher kann der Ausstellung vorgeworfen werden, dass sie mit Pornografie nicht gerade kritisch umgeht. Den didaktischen Zeigefinger sucht man vergebens, er ist aber auch nicht zwingend notwendig. Und schließlich sind Obsessionen gerade bei künstlerischen Betrachtungen von Sexualität zu erwarten, wenn auch in dieser Auswahl nicht gerade erhellend.