nebensachen aus prag
: Tschechisches Mitteilungsbefürfnis der etwas anderen Art

Hoch geheime Dokumente aus dem Außenministerium als Bettlektüre

Gerade waren Anfang vergangener Woche Nato-Schwergewichte in Prag zu ihrer parlamentarischen Versammlung angereist. Gerade hatte Generalsekretär George Robertson seine Runden bei Präsident und Premier absolviert. Man freute sich, im Irakkrieg das Gesicht gewahrt zu haben und auf der Seite der Sieger zu stehen. Unter strahlender Maisonne diskutierte man die euroatlantische Zukunft und versicherte, Tschechien werde in dieser ein vertrauenswürdiger Bündnisparter sein.

Da platzte der Skandal: Exaußenminister Jan Kavan, derzeit Vorsitzender der UNO-Vollversammlung, soll mit hoch geheimen Dokumenten herumgeschlampt haben. Manche soll er dem Papierschnitzler zum Fraß vorgeworfen, andere sich als Bettlektüre mitgenommen haben. Beunruhigt wird gemunkelt, vertrauliche Nato-Schriftsachen sollen der so respektlosen Behandlung des ehemaligen tschechischen Chefdiplomaten ausgesetzt gewesen sein. Und all das ausgerechnet vor den Augen der versammelten Nato-Truppe samt Stabschef. Die Republik habe sich in der großen nordatlantischen Familie mal wieder als das Mitglied gezeigt, das aber auch gar nichts für sich behalten könne, knirschten einige tschechische Diplomaten beschämt.

Deren jetziger Chef Cyril Svoboda reagierte prompt: Er untersagte Kavan den Zugang zu allem Vertraulichen und seinen Diplomaten den Umgang mit dem Geschmähten. Das Parlamentsmandat aber, das Kavan für die regierenden Sozialdemokraten innehält, darf er behalten. Sonst setzte die Koalition ihre Mehrheit von einer Stimme aufs Spiel.

So geht es halt zu in Absurdistan: Der Chef der UNO-Vollversammlung genießt im eigenen Land weniger Vertrauen als der Hausmeister des Außenministeriums. Er ist selbst schuld, er hätte besagte Dokumente nach dem Studium wieder an ihren Platz legen sollen. Die, die Kavan noch aus alten Zeiten kennen, winken ab: Nicht böser Wille habe ihn geführt, sondern seine tiefe innere Veranlagung zum Chaos. „Ein Skandal, der in der Geschichte der Tschechischen Republik seinesgleichen sucht“, titelte die regierungstreue Zeitung Pravo.

Dabei hat Tschechien in den zehn Jahren etliche Affären hinter sich, bei denen Jan Kavan nie ganz fern war. Dass er mal betrunken drei Autos auf einmal zusammenfährt, wiegt da noch leicht. Unter dem Decknamen Kato soll er früher Dissidenten bespitzelt haben. Außerdem soll es unter seiner Führung im Außenministerium nur so vor Intrige und Erpressung gestunken haben. Beweise gibt es keine, und so gelang es Kavan bisher, zu überleben. Deshalb nimmt er auch den jüngsten Skandal nicht so ernst: Während man sich in Prag peinlich berührt vor der Nato duckte, beteiligte sich Kavan in New York an einer Lesung. Thema: Über die Wahrheit.

ULRIKE BRAUN