Heiliger Narr von Mount E.

Er wollte der Erste sein: der exzentrische Mount Everest-Pionier Maurice Wilson. Der Bremer Journalist und begeisterte Bergsteiger Peter Meier-Hüsing hat jetzt ein Buch über ihn geschrieben

taz: 50 Jahre nach der ersten Mount Everest-Besteigung glaubt man, alle Geschichten dieser Eroberung des „dritten Pols“ zu kennen. Eine fehlte noch, Sie haben sie jetzt aufgeschrieben: Die von Maurice Wilson, dem exzentrischen Briten, der 1934 ganz alleine und ohne vorherige Bergsteig-Erfahrungen den Gipfel erklimmen wollte. Wie kommt man als Bremer zu solch einem Thema?

Peter Meier-Hüsing: Ich bin einer der wenigen, die mit ihren Eltern in die Berge gefahren sind, und denen das dadurch nicht vergrault wurde. 1996 lag ich krank mit einem Bandscheibenvorfall zuhause und hab’ Bücher über das Bergsteigen gelesen, und in Reinhold Messners Erinnerungen an seine Solobesteigung standen auch ein paar Seiten über Wilson, von dem ich bis dahin nie gehört hatte. Der faszinierte mich: ein extremer Außenseiter, sicherlich auch verrückt in dem Sinne, dass er ein unmögliches Vorhaben anging – denn seine Chancen, wirklich als erster den Everest zu besteigen, waren gleich Null.

Wie haben Sie recherchiert? Sind Sie auch an den Everest gefahren?

Ja. Gerade wenn man solch einen Berg und die Menschen, die an ihm lebten, beschreiben will, reicht das Material wie Expeditionsberichte, Tagebücher, Briefe und Artikel, das man in Archiven findet und liest, nicht aus. Ich habe mich genau wie Wilson eine Zeit lang im Kloster Rongbuk aufgehalten, das 5.000 Meter hoch liegt. Von da bin ich dann bis zum Basis-Camp gewandert und noch weiter bis zum Lager I auf ungefähr 6.000 Metern. Dann wurde das Wetter schlecht und ich musste umkehren.

So wie Sie es beschreiben, hatte Wilson mit den Bergen gar nicht groß was am Hut. Er wollte nur irgendwo der Erste sein, und wenn der Südpol noch nicht bezwungen gewesen wäre, hätte er eben dort Ammunssen und Scott Konkurenz gemacht.

Er wollte etwas erreichen, mit dem er die größtmögliche Aufmerksamkeit erreichen konnte. Er war tatsächlich kein Alpinist, und wurde eher von einer Art religösen Vision getrieben.

Sie haben kein reines Sachbuch geschrieben, sondern eine Mischform mit romanhaften Passagen, erfundenen Dialogen und inneren Monologen. Sätze wie „‚Du Wahnsinniger!‘, dachte Enid immer wieder und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.“ – ist das nicht gefährlich nah am Lore-Roman?

Ich glaube, dass ich dem Leser Maurice Wilson so am lebendigsten nahebringen konnte. Ich wollte ja keine Hochliteratur machen, sondern eine Geschichte spannend erzählen.

Sie schildern in dem Buch über Wilson auch Leben, Kultur und Religion vor Ort, etwa im Kloster Rongbuk.

Unter all den Engländern, die seit den zwanziger Jahren als erste westliche Reisende in die Regionen am Fuß des Everst kamen, war Wilson am interessiertesten und am offensten für die religiöse Praxis der tibetischen Buddhisten. Auf der Ebene der religiösen Begegnung gab es wohl eine Seelenverwandtschaft.

Die Engländer lieben ja eigentlich solche exzentrischen, romantischen „holy fools“ wie Wilson. Nun hat ausgerechnet ein Deutscher das erste Buch über ihn geschrieben.

Als ich für die Recherchen in der Londoner Bibliothek des „Alpine Clubs“ war, um dort Wilsons kleines, ziemlich zerfasertes Tagebuch zu lesen, erzählte mir die überraschte Bibliothekarin, dass sich jahrzehntelang niemand für ihn interessiert hätte, und nun plötzlich viele nach ihm fragen würden. Ein englischer Kollege arbeitet an einem ganz ähnlichen Buch wie meinem und BBC hat ein Portät von Wilson produziert. Man scheint jetzt also auch in Großbritannien diese vergessene Figur wiederzuentdecken. Interview: Wilfried Hippen

Peter Meier-Hüsing: Wo die Schneelöwen tanzen. Malik Verlag, 19,90 Euro