Penetranz der Toilettensymbolik

Außer Blut und Exkrementen nichts gewesen: Nils Daniel Finckh inszeniert im Malersaal „Trainspotting“ und kommt – bei erklärter Nichtanlehnung ans filmische Original – nicht hinaus über den 90er-Jahre-Trend der verbalen Grenzüberschreitung im Randgruppenmilieu

von LIV HEIDBÜCHEL

Vielleicht hat der Regisseur es zu doll beschrien: Seine Inszenierung von Trainspotting im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses werde sich unter keinen Umständen an den gleichnamigen Kultfilm von 1996 anlehnen. Und doch fehlt keine Schlüsselszene, und natürlich wabert der Film im Hinterkopf – ob Regisseur Nils Daniel Finckh das nun möchte oder nicht. Schon die Ausstattung hält sich an Bekanntes: Kloschüsseln, wohin das Auge sich wendet – wir Kinogänger erinnern uns an die phänomenale Tauchszene Ewan McGregors ins Unterwasserreich auf der Suche nach Drogen –, eine ekelhafte Tapetencollage aus 70er-Jahre-Mustern und Wasserfall-Ansicht, der Rest kahl und heruntergekommen. Eben entsprechend den gängigen Klischees eines Fixer-Domizils.

In dieser fertigen Umwelt treffen sieben junge, nicht minder fertige Menschen aufeinander. Alle beziehungslos und ohne Skrupel. Sie nehmen Drogen, weil sie irgendwie nicht weiter wissen und überhaupt nie ir–gendetwas wussten, und schon beginnt der Tanz im Teufelskreis. Als Klausi Beimer aus der Lindenstraße vor Jahren mal Angst vor einer Klausur hatte, riet ihm seine WG-Mitbewohnerin: „Zieh‘ ‘ne Line, dann checkste auch was in Mathe!“ Das sind so Wünsche, die meist nicht in Erfüllung gehen. Und das wusste man damals schon.

Der Film Trainspotting verpackte Mitte der 90er Jahre Trostlosigkeit und Absturz in schwärzesten Humor. Kaum eine Peinlichkeit im Zusammenhang mit Ausscheidungen blieb da aus. Abgerockte Existenzen, Ausverkauf der Seelen und Missbrauch jeglicher Couleur gab es zur selben Zeit im Dunstkreis um Mark Ravenhills Shoppen und Ficken auch in den Theatern reichlich zu ertragen. Die Inszenierung von Trainspotting im Jahr 2003 fügt all dem nichts hinzu. Besonders der Penetranz der Toilettensymbolik – „kannst du mich mal wegspülen?“ – kann man sich nicht erwehren. Naheliegenderweise drängt sich dann glatt die Redewendung vom „Griff ins Klo“ auf.

Regisseur Nils Daniel Finckh versammelt in seinem Ensemble SchauspielerInnen, die fast alle ihr Hauptstandbein im Film haben – allen voran Robert Stadlober, der seit Crazy und Engel & Joe als Shooting-Star gehandelt wird. Er muss als Mark Renton die Hauptrolle füllen, die eigentlich gar keine ist – denn wer mag schon beurteilen, wem von den glorienlosen Sieben es am beschissensten geht. Am stärksten sind die leiseren Szenen, etwa wenn einer nach dem anderen Mark um Stoff angeht. Eigentlich geht es um emotionale Zuwendung, und die verabreicht Stadlober in einer stillen Umarmung.

Einen vermeintlichen Clown in grotesker Hülle gibt Tillbert Strahl-Schäfer als Spud und kommt damit am stärksten rüber. Wie er für einen Moment glücklich eine Beethoven-Schallplatte im Arm zum Spielen bringt, das gehört zu den Perlen des Abends. Auch Götz Behrendt als Sonderling Sick Boy überzeugt durch zurückgenommenes Spiel. Das enthemmte Tyrannengeschrei von Franco (Felix Lampe) amüsiert für den Moment, kettet ihn aber an die Proll-Rolle. Der Regiebogen zur möglichen Ursache für sein Gebaren – ein Autounfall, der seinen Bruder das Leben kostete – wirkt aufgesetzt und pädagogisch. Getoppt wird sein Bekennen nur von Spuds Amselrettung (Stichwort: frei wie ein Vogel): An sich rührend, aber dennoch zu klischiert um wahr zu sein.

Das ist auch das große Manko der anderen Darsteller: Wir bekommen eine Typengalerie zu sehen, Charaktere haben Hausverbot. Am schlimmsten trifft es die beiden Frauen, gespielt von Juli Malik und Nora Tschirner. In der verrohten Jungswelt dienen sie gesichtslos der Pseudo-Befriedigung, bedienen meistens aber gerne oder kennen es nicht anders. Tommy (Matthias Walter) kommentiert vor dem Anfixen das irre Treiben um ihn mit gesunder Distanz: „Irgendwie, ich weiß nicht.“ Dem kann man sich nur anschließen.

nächste Vorstellungen: Sa + So, 4.–9. Juni, 20 Uhr, Sa auch 22.30 Uhr, Malersaal