Tabasco auf der Oblate garantiert Brand

Fast Food trifft Slow Food: Auf dem ersten ökonomischen Küchentag prallen zwei Welten aufeinander

BERLIN taz ■ Nur mühsam erkämpft sich das Fahrrad des Wahrheit-Reporters eine Gasse durch die Menschenmenge. In 38 Sonderzügen sind sie über die Stadt hereingebrochen, sie kamen in Bussen, Autos und Flugzeugen. Nun wuselt und wimmelt es wie zur Love Parade. Überall hängen Plakate. Die Straßen sehen aus wie im Wahlkampf, nur dass über den Häuptern der abgebildeten Menschen glühende Kochplatten zu schweben scheinen. Warnung vor dem Elektrosmog moderner Ceranfelder? Einen Bericht über den ersten Ökonomischen Küchentag will der Redakteur haben. Oder war es ökologisch? Am Telefon war das nicht zu verstehen.

Aber das muss auch kein Widerspruch sein. Während der fünf tollen Tage erhalten ohnehin viele der mehr als 200.000 Teilnehmer in 130 Berliner Schulen ein schmackhaftes Frühstück aus ökologisch produzierten und fair gehandelten Produkten. Biodynamisch gestärkt geht’s nun zum zentralen Veranstaltungsort, den Messehallen unter dem Berliner Funkturm.

Dort hat die „Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau“ einen Naturkostmarkt mit breitem Angebot aus biologischen Mahlzeiten organisiert. Köchinnen und Köche von den Haute-Cuisine- und den Functional-Food-Akademien lassen sich im „Gläsernen Restaurant“ (Halle 11.1) in die Töpfe gucken und zeigen, wie gut ökologisches Essen schmecken kann. Sogar ein anständiges Schnitzel soll irgendwo zu haben sein, das frei laufende Schwein sei aus ökologischer Bodenhaltung. Nebenan wird es ökonomisch-ökumenisch, Fast Food trifft Slow Food: Fritten und Grünkern-Bratlinge werden im gleichen Fett gebacken.

„Daran ist Bruder Johannes schuld“, sagt ein Besucher. „Die Rolle der Küchen soll nicht eingeschränkt werden auf einen Retter in Krise und Not. Einmischung sei ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft.“ Was der Bundespräsident ins Essen mischen will, bleibt indes unklar. Kartoffelstärke in die Reibekuchen? Honig in den Senf? Aber Küchenrollen liegen tatsächlich überall herum: Zewa wisch-und-weg, Alufolie, aufgerollte Abfallbeutel. Gerade in Zeiten der Krise und der Unsicherheit suchen die Menschen nach Orientierung und finden sie noch immer in den Küchen. Das erklärt auch, warum sich Leute alle paar Jahre auf Küchentagen versammeln, wo es doch viel klüger wäre, sich ein paar Grundkenntnisse aus Doktor Oetkers Schulkochbuch anzueignen und dann einen eigenen Weg zu finden. Stattdessen werden Fertiggerichte aus der Tiefkühltruhe konsumiert, wo ein am Gemüse haftender Klumpen aus undefinierbarer Chemie zuerst für Soße und dann für Blähungen sorgt.

Bei aller Einigkeit und Harmonie in der einen oder anderen Küchenfrage und den gemeinsamen Tagesmahlzeiten verputzen die Teilnehmer das Abendessen dennoch nicht gemeinsam. Dafür haben die Spitzen der beiden großen Küchenfraktionen gesorgt. Zu groß ist die Kluft aus mittelalterlicher Hausmannskost und modernistischem Gehabe. Während die einen das Brot nach strenger Tradition brechen und mit billigem Wein an die Jüngeren verteilen, würzen die anderen mitunter kräftig nach eigenen Regeln und tun sich schon mal grünes Tabasco auf die frisch gebackene Oblate. Wegen der nachhaltigen Wirkung in alle Himmelsrichtungen. DIETER GRÖNLING