(B) Altonaer Jubiläum

Morgen vor hundert Jahren wurde in Altona der erste „Deutsche Meisterclub“ des DFB gekürt – selbstverständlich inklusive Skandal

von RALF KLEE

Franz Behr ist heute vergessen. Zu Unrecht. Der deutsche Fußball hat dem Hamburger viel zu verdanken. Als deutschnationale Turner noch abfällig vom „englischen Aftersport“ sprachen, hat sich Behr unbeirrt für die neue Sportart eingesetzt. Er war ein Fußballpionier in mehrerer Hinsicht: So war der Mann mit dem markanten wilhelminischen Schnauzer in Leipzig bei der Gründung des DFB als Delegierter dabei und wurde später 2. Vorsitzender und Schriftführer des neuen Verbandes.

Auch als Pressewart und Sportjournalist versuchte er den Fußballsport zu fördern. Behr tingelte von Redaktion zu Redaktion und bot den großen Hamburger Tageszeitungen Berichte „rund ums Leder“ an. Doch die bourgeoise Presse war meist mehr an Pferderennen interessiert. Diese inakzeptable Haltung gegenüber der Randsportart Fußball quittierte Behr dann regelmäßig mit einem delikaten Verweis auf Götz von Berlichingen („Er kann mich im Arsche lecken!“) und verließ wütend die Redaktionsräume.

Neben seinen Tätigkeiten als Funktionär und verhinderter Sportjournalist war Behr auch noch als Fußballspieler eine wichtige Persönlichkeit: Im kaisertreu schwarz-weiß-rot gestreiften Dress von Altona 93 zählte er als mittlerer „Halfback“ zu den besten Spielern Deutschlands. Sein wichtigstes Spiel bestritt er jedoch nicht als „Halfback“, sondern als Schiedsrichter und Platzwart.

Es war der 31. Mai 1903, als Behr den kleinen Sportplatz im damals noch autonomen Altona eigenhändig mit Tauen abgrenzte. Zuschauermassen waren nicht zu erwarten, aber Ordnung musste sein, im wilhelminischen Deutschland. Sogar das Spielfeld hatte er mit Sägespänen markiert. Als die ersten Zuschauer am „Exerzierplatz“ eintrafen, begrüßte er die – nie war der Begriff treffender – Fußballenthusiasten höflich, nahm seine Mütze ab und verlangte das „Entree“. Eine Goldmark kostete der Eintritt zum Endspiel um die erste Deutsche Fußballmeisterschaft, die damals noch im Pokalmodus ausgetragen wurde. Trotz des moderaten Eintrittspreises erschienen nur 2000 Zuschauer, die das Finale zwischen dem VfB Leipzig und dem Deutschen FC Germania Prag sehen wollten. Die Ursache war die mangelnde „Werbetätigkeit“ der lokalen Presse. Behr hatte vor der Partie noch Kontakt mit diversen Zeitungen aufgenommen, um Ankündigungen und Berichte zu platzieren. Doch mehr als Kurzmeldungen waren nicht durchzusetzen. So fand das erste Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft fast ohne öffentliche Anteilnahme statt.

Chaos und Skandale

Das Publikum musste sich dann auch noch in Geduld üben. Kurz vor Anpfiff fiel den Beteiligten auf, dass der Spielball fehlte. Eine halbe Stunde verstrich, bevor Behr endlich eine ordentliche „Spielblase“ organisieren konnte. Sonst gab es keine weiteren Schwierigkeiten. In dem schnellen Finale (siehe Spielbericht) machte Behr seine Sache als Referee sehr gut. Aber das war auch nicht schwer. Der Schiedsrichter galt im Obrigkeitsstaat noch als Autorität, und Fouls wurden von den Spielern noch selbst angezeigt. Als Behr die Begegnung abpfiff, stand es 7:2 für den VfB Leipzig. Der erste Titel ging nach Sachsen.

Es war der Schlusspunkt einer Meisterschaft, die eine Ausgeburt an Chaos und Skandalen war. Als Abbild moderner preußischer Organisation war der Wettbewerb geplant, doch er wurde ein antikes griechisches Satyrspiel. Ein Schauspiel, das seinen dramatischen Höhepunkt bereits vor dem letzten Akt fand – in der Vorrunde. In Leipzig war die Partie zwischen dem DFC Prag und dem Karlsruher FV angesetzt. Doch ein Spiel fand nie statt. Die Karlsruher wurden mit einem fingierten Telegramm in die Irre geführt: „Meisterschaftsspiel verlegt. DFB“ tickerte es nach Baden. Der KFV verzichtete daraufhin auf die kostspielige Reise nach Sachsen. Ein folgenschwerer Fehler, denn in Leipzig warteten die Prager auf ihren Gegner. Nach diesem „Phantomspiel“ kam der DFC Prag kampflos eine Runde weiter. Ein Protest des Karlsruher FV wurde vom Deutschen Fußballbund abgewiesen, da die Badener den Wahrheitsgehalt des Telegramms hätten prüfen müssen. Das „Bubenstück eines Prager Sportsmannes“, wie der DFB den Vorfall offiziell bezeichnete, sorgte über Wochen für heftigste Kontroversen in der Sportöffentlichkeit. Unangenehm für die Prager, denn bereits die Teilnahme des DFC an der deutschen Meisterschaft war umstritten, gehörte man doch politisch zum k.u.k-Staat Österreich-Ungarn.

Nicht nur vom sportlichen Gesichtspunkt, auch finanziell war die erste Deutsche Fußballmeisterschaft ein Desaster: Alle Endrundenspiele brachten laut offiziellem Bericht nur 1333 Goldmark ein, kosteten den Verband aber in der Vorbereitung und Durchführung fast das Doppelte.

Aber entschlossene Visionäre wie Franz Behr sorgten dafür, dass der Fußball sich durchsetzte. Der moderne Fußballprofi darf gerne einen Gedanken an den Mann aus Altona verschwenden – das hätte er verdient.