der kommentar
: Die Behörde, das unbekannte Wesen

Die Bundesregierung weigert sich seit Jahren, ein Informationsfreiheitsgesetz zu beschließen. Eine Schande!

Nicht umsonst ist in der Gebärdensprache die Geste für „Deutschland“ die Nachahmung einer Pickelhaube: Die Faust wird mit ausgestrecktem Zeigefinger auf dem Kopf platziert. Nach alter Sitte sind in Deutschland nicht Behörden für Bürger da – sondern Bürger für Behörden. Die Aufgabe der Letzteren ist es, für die Ersteren sinnfreie Beschäftigungstherapien auszutüfteln. Noch ist so gut wie jeder Versuch gescheitert, einen Behördengang ohne anschließendes Magenleiden hinter sich zu bringen. Wer je einen internationalen Führerschein beantragen wollte, zweifelt nicht länger daran, dass im Vergleich zu einer Meldestelle in Berlin-Mitte selbst die Hölle ein vergleichsweise freundliches Plätzchen ist.

Ein in Beton gegossenes Fundament dieser Ordnung ist das Amtsgeheimnis: Behörden arbeiten zwar oft mies – aber wie sie dies tun, bleibt streng vertraulich. Die Steuerzahler bezahlen für monströse Apparate, um diesen hinterher als Bittsteller gegenüberzutreten. Ihnen bleibt nichts weiter, als auf die Gnade des höchsten Wesens zu hoffen, das sich hinter Furcht einflößenden Schreibtischen verschanzt.

Dafür, dass dies auch so bleibt, sorgt die rot-grüne Regierung. Sie verzichtet seit nunmehr sechs Jahren darauf, ein Informationsfreiheitsgesetz zu beschließen. Fast schon in einem Akt von Notwehr haben daher gestern Journalisten- und Bürgerrechtsorganisationen einen selbst verfassten Gesetzentwurf an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse übergeben. Die Abwesenheit eines Informationsfreiheitsgesetzes garantiert, dass Bürger auch zukünftig kein Recht haben, Akten ohne eine besondere Begründung einzusehen. In anderen Ländern haben solche Gesetze ausgezeichnet dazu beigetragen, Korruption und Vetternwirtschaft zu verringern. Gegenüber dieser Erkenntnis aber stellt sich die Bundesregierung blind und taub. Diese Starrsinnigkeit hat dafür gesorgt, dass Deutschland im internationalen Vergleich noch hinter Staaten wie Weißrussland zurückgefallen ist, in denen das Wort „Transparenz“ noch bis vor kurzem nur schwerlich in die Landessprache übersetzt werden konnte.

Die Bundesregierung sollte daher schnell Einsicht in eine Akte nehmen, deren Inhalt ihr offenbar zwischendurch entfallen ist: den rot-grünen Koalitionsvertrag. In ihm ist ein Informationsfreiheitsgesetz längst vorgesehen.

ANDREAS SPANNBAUER