frau schwab lernt polnisch (7)
: Die Stunde der Verständigung

VON WALTRAUD SCHWAB

Die taz macht fit für den EU-Beitritt Polens am 1. Mai: Lernen Sie Polnisch an der Volkshochschule Mitte mit Artur Kolasiński (Lehrer) und der Reporterin Waltraud Schwab (Schülerin). Die siebte Stunde:

Allmählich wird der Unterricht bunt. Nicht bunt im Sinne von Farbigkeit. Rot, grün, blau, gelb und so, das hatten wir noch nicht. Obwohl: Da ich bereits in einigen Sprachen gescheitert bin, unter anderem im Russischen, ist mir auf dem Zettel mit den 300 Wörtern, den uns Kolasiński, der Lehrer, zwecks Aussprachedrills zu lesen gibt, ein Wort aufgefallen, das mich an „siljone“ erinnert. Und das müsste „grün“ heißen, meine ich. Einmal nämlich war ich vier Wochen in Sankt Petersburg, als es noch Leningrad hieß. Dort sah ich den Film „Wo die grünen Ameisen träumen“ – „Tam gdie siljonie murawyi mitschtajut“. Nur der Titel des Films hat sich in mein Gehirn eingeschrieben.

Sonst habe ich keine Erinnerungen an Leningrad mehr. Auch das Russische, das ich mir in jahrelangem Volkshochschulstudium zu Westberliner Zeiten aneignete, ist nur noch als falsches Echo vorhanden. Ich wollte damals doch alle Gedichte von Marina Zwetajewa lesen, nicht nur die paar, die in Anthologien auftauchten. Aber als mein Russisch so gut war, dass ich auf der Straße nach dem Weg fragen konnte, war Zwetajewa übersetzt und die Mauer auf. Wie dem auch sei, vermutlich wird „siljone“ im Polnischen wie „schiwone“ ausgesprochen. Vielleicht heißt es auch ganz anders. Ob ich den sprachlichen Reifegrad je erreiche, um mitzuteilen, wie es sich tatsächlich verhält, ist offen.

Ich weiß, das führt alles zu weit. Hier geht es um den Polnischunterricht, Grundstufe, der bunt wird, ohne dass wir die Farben kennen. Es sind die Fälle, die im Abstrakten fürs Chromatische sorgen. Drei von sieben hatten wir bisher, allerdings nur im Singular. Es genügt, um uns an den Rand unserer logischen Kapazitäten zu treiben. Wenn Kolasiński sagt, wir sollen den Satz „Ich warte mit dem neuen Diplomaten vor dem Hotel und lese ein teueres Buch“ übersetzen, setzt das eine komplizierte Maschinerie in unseren Köpfen in Gang, die etwa so geht: „Die-Präposition-‚mit‘-zwingt-das-folgende-Substantiv-‚diplomat‘-in-den-Instrumental-von-der-Idee-her-ist-der-Diplomat-natürlich-maskulin-aber-im-Polnischen-kommt-er-feminin-daher-‚dyplomata‘-folglich-wird-daraus-im-Instrumental-‚dyplomatą‘-‚neu‘-heißt-‚nowy‘-und-obwohl-der-maskuline-Diplomat-im-Polnischen-weiblich-dekliniert-wird-muss-‚neu‘-trotzdem-maskulin-gebeugt-werden-und-im-Instrumental-heißt-das-also-‚nowym‘-und-‚vor‘-braucht-auch-den-Instrumental-also-wird-aus-‚hotel‘-dann-‚hotelem‘.“

Aufatmen, denn das ist immerhin schon der erste Teil des Satzes. Dann geht es weiter: „Jetzt-noch-‚lesen‘-in-der-ersten-Person-Singular-also-‚czytam‘-das-Verb-braucht-den-Akkusativ-wie-bei-uns-im-Deutschen-auch-‚książka‘-‚Buch‘-ist-im-Polnischen-weiblich-siehe-das-‚a‘-am-Ende-deshalb-wird-im-Akkusativ-daraus-dann-ein-‚ę‘-also-‚książkę‘-dann-noch-‚teuer‘-eigentlich-‚drogi‘-aber-weil-es-weiblich-ist-heißt-es-im-Nominativ-‚droga‘-und-im-Akkusativ-dann-‘drogą‘.“ Und wenn wir das alles gedacht haben, radebrecht einer von uns: „Czekam z nowym dyplomatą przed hotelem i czytam drogą książkę“ (tschäkam s nowym diplomatong pschäd hotelim i tschitam drogong kschiongschkä). Daraufhin sagt Kolasiński dann „ja“ oder „nein“. Je nachdem, ob es stimmt. Und so geht das eine ganze Weile weiter.

Vielleicht verstehen Sie jetzt, dass im Unterricht eigentlich nichts mehr passiert. Jeder von uns braucht viel Zeit, um seinen Satz zusammenzubasteln. „Diesen Kaffee liebe ich mit Zucker und mit Milch.“ Dafür brauchen wir etwa zwei Minuten. „Ich kenne einen intelligenten Kellner mit Auto.“ Dafür brauchen wir mindesten drei, weil unsere Antwort zuerst falsch ist. „Kellner ist belebt“, korrigiert Kolasiński unseren ersten Versuch. Wir schlagen uns an die Stirn. „Natürlich“, er ist ein belebtes, männliches Substantiv. Das hat Auswirkungen auf den Akkusativ. „Znam“ – ich kenne – keinen simplen „inteligentny kelner“ – so wäre er ja unbelebt, sondern „znam inteligentnego kelnera“. Um ehrlich zu sein, ich finde diese Art der Wortbeugung lustig. Als müssten sich die maskulinen belebten Substantive sich ihrer selbst vergewissern. Ich hab mir daraus eine Eselsbrücke gebastelt: „Der junge Mann sucht seine Lego, der alte aber sucht sein Ego.“ Niemand lacht. Der kanadische Diplomat sagt: „Der kleine Mann ist doch auch ein männliches Subjekt.“ Ich antworte: „Die Leute, die Lego kreiert haben, müssen Polnisch gekonnt haben.“ Kolasiński aber wiegt seinen Kopf. „Sie werden sehen, so einfach ist es nicht.“

„Warum tun wir uns das an?“, frage ich meinen Schulfreund auf dem Weg zur Oranienburger Straße, „die können in Polen doch fast überall Englisch, und Deutsch lernen sie auch.“ „Es ist eine Geste“, antwortet Peter. „Geste von was?“ „Von Verständigung“, meint er. „Ohne dass wir was richtig sagen?“ frage ich. „Ja“, antwortet er.

Ermunterungen an: polnisch@taz.de