Wandergeschichten der Wirtschaft

Wegen zu hoher Löhne und zu viel Bürokratie wollte nahezu ein Viertel aller deutschen Unternehmen ins Ausland umsiedeln, erklärt der Industrie- und Handelskammertag. Bei Baufirmen und Dienstleistern sind allerdings andere Motive wichtiger

aus Berlin CHRISTIAN HONNENS

Jedes vierte deutsche Unternehmen plant in den nächsten drei Jahren, seine Produktion ins Ausland zu verlagern. Dies ist das Ergebnis einer gestern vorgestellten Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) bei knapp 10.000 Unternehmen. Vor drei Jahren habe nur jedes fünfte Unternehmen einen solchen Schritt geplant, erklärt der Verband.

Während in den 90er-Jahren nach Informationen des DIHK besonders lohnintensive Fertigungsbereiche betroffen gewesen seien, zeige die Umfrage nun eine neue Tendenz: Vermehrt wären auch Unternehmensteile wie Verwaltung, Forschung und Entwicklung oder sogar der Sitz des Unternehmens betroffen.

Die Studie gibt die Stimmung in den Unternehmen wieder, nicht aber konkrete Schritte der Verlagerung. Bei seiner vergangenen Umfrage für den Zeitraum 1999 bis 2002 kam der DIHK der Wirklichkeit allerdings ziemlich nahe: Fast so viele Firmen wie angekündigt siedelten tatsächlich ganz oder teilweise um.

Hauptmotive der Produktionsverlagerungen seien die „unbefriedigenden“ Bedingungen am Standort Deutschland, so die Auswertung der DIHK. „Die hohe Steuer- und Abgabenlast, die hohen Arbeitskosten und das starre deutsche Arbeitsrecht stehen dabei auf der Liste ganz oben“, sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der DIHK.

Ein Drittel der befragten Unternehmen plant in den nächsten drei Jahren Investitionen im Ausland. Diese sind nur sehr begrenzt auf die „hohen Kosten am Standort Deutschland“ zurückzuführen. Nur ein Viertel der Unternehmen in den Branchen Handel oder Dienstleistungen investiert dort aus Kostengründen, in der Bauwirtschaft sind es gar nur 16 Prozent. Andere Gründe spielen eine wichtigere Rolle. Immerhin 71 Prozent der befragten Bauunternehmen bauen ihr Produktion aus, weil sie neue Märkte erschließen wollen. Etwa die Hälfte der Firmen in Handel und Dienstleistungen wollen in Vertrieb und Kundendienst im Ausland investieren.

Die DIHK geht davon aus, dass als Folge deutscher Standortnachteile zwischen 2003 bis 2005 jährlich 50.000 Arbeitsplätze im Ausland und nicht in Deutschland enstehen. Nach eigenen Angaben sollen es in den vergangenen drei Jahren je 45.000 gewesen sein. Diese Zahl konnte allerdings weder das Statistische Bundesamt noch die Bundesanstalt für Arbeit im Nürnberg bestätigen, da sie dort nicht erfasst würde. Für die Zukunkft mahnt die Wirtschaftslobby weitere Reformen an, um die Standortnachteile in Deutschland zu beseitigen. Die geplante Reform-Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) könne nur ein Anfang sein, fordert Wansleben.

Die 35-Stunden-Woche ist ihm ein Dorn im Auge: „Wenn in den neuen Bundesländern für deren Einführung gestreikt wird, kann einen das schon traurig machen.“

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