Stark im Schritt

Weich wie Seide und rau wie ein Backenbart: Mit Körpern im Übergang verfolgt die Choreografin Eszter Salamon die nicht ganz neue Frage nach Identität und Geschlecht

Sie haben Ziegenbärte und Backenbärte, Schnurrbärte oder einfach nur Bartschatten. Was ihre Körper aber als Männer kennzeichnet, sind keinesfalls die Bärte. Es sind die Posen, auch wenn die fast zu subtil sind für den Begriff. Den Brustkorb unmerklich vorgewölbt, die Knie leicht geöffnet, der Körper ein wenig sonderbar auf den Schritt ausgerichtet: In ihrem neuen Stück „Reproduktion“, das heute Abend als Uraufführung im Rahmen des Tanzfestivals „Körperstimmen Nr. 9“ zu sehen ist, stellt sich die Choreografin Eszter Salamon die Frage, wie man als Mann durchgeht. Denn die neun Tanzenden sind allesamt Frauen.

„Reproduktion“ ist nicht das einzige Stück mit „starkem konzeptionellen Hintergrund“, merkt der Kurator des Festivals „Körperstimmen“, André Thériault, an. Dieser Hintergrund allerdings sei „kein Störfaktor für das Genießen des Abends“. Zeitgleich mit dem französischen Kulturmonat M.A.R.S zeigt „Körperstimmen“ in diesem Jahr fast ausschließlich französische Produktionen. Fabrice Lambert etwa, dessen Stück „Play Mobile“ am ersten Festivalwochenende zu sehen war, ließ seine TänzerInnen in einem aus Tonband gespannten Boxring den „Blick des anderen und das Begehren“ erkunden. Martine Pisani beschäftigt sich am letzten Festivalwochenende (10. und 11. 4., 20 Uhr) in „slow down“ mit der Bühnensituation selbst.

Fast unmerklich kommt Bewegung in die Körper während der Probe von „Reproduktion“. Unendlich zögerlich bewegt man sich aufeinander zu. Irgendwo zwischen Gymnastik, Liebesakt und Kamasutra liegen diese Gesten: Hände, die den anderen Körper umfassen, hinten in den Hosenbund hineinfahren, Münder, fest aufeinander gepresst, die Köpfe in Hollywoodmanier seitlich geworfen, Hüften, den anderen Hüften entgegengebogen.

An das Kamasutra hat sie gedacht, sagt Salamon nach der Probe. Schon der Titel, „Reproduktion“, weist auf Sex. Dabei gehe es ihr vor allem um die „Reproduktion des Weiblichen“, darum also, wie in der permanenten Wiederholung der Gesten des Weiblichen schließlich eine vermeintliche Essenz entsteht. Oh Schreck! Glücklicherweise aber spielt die Frage nach der Essenz des „Weiblichen“ dann keine sichtbare Rolle mehr. Salamon stellt einfach weibliche Körper in männlichen Bewegungsmustern aus; sie zielt auf die Wahrnehmung der Betrachter.

Die Choreografin lässt ihre Darstellerinnen auf einer 10 mal 10 Meter großen Bühne in Tischhöhe agieren, um die die Betrachter platziert werden. Ein Tabledance, der den Betrachter bei seinen Deutungsmustern packt: jemanden als etwas wahrzunehmen, ist eben immer auch, im Jargon des Diskurses, „geschlechtlich codiert“. Worauf Salamon also in Kostümen, Accessoires und Bewegung zielt, ist die gedeutete Realität. Wie spricht die Kleidung: der Overall und die Schiebermütze, die Gleichzeitigkeit von Caprihose und Kinnbart, von Bart- und Lidschatten?

Die Frage nach der Wirklichkeit der Körper allerdings, nach dem, was hinter der Codierung liegt, und ob dort überhaupt etwas zu finden ist, wird – dankenswerterweise – ausgespart. Zwar ginge es ihr darum, Identität in Frage zu stellen, sagt Salamon, aber dennoch: „No answer, no message.“ Es sind einfach Körper im Übergang, die ein wenig verwirren, die anzuschauen vergnüglich ist und die lächeln lassen über das eigene Erkennen: wie es aufspringt auf jedes vorgeschobene Schulterblatt, auf jede Suggestion vom Seidentuch bis zur Feinstrumpfhose. Wie es immer schon weiß. In „Reproduktion“ allerdings ist das Wissen ein sehr kurzer Moment.

KATRIN KRUSE

„Reproduktion“ im Podewil, Klosterstr. 68–70, 2. 4. und 4. 4 um 20 Uhr, 3. 4. um 20 und 22 Uhr