Die Talk-Direktorin

Marion Paulsen managt gleich neun TV-Runden. Politisches wie „Friedman!“ und „Talk in Berlin“.Bei den Privaten und in der ARD. Sie inszeniert im Hintergrund – nicht nur während der Sendungen

von MAREKE ADEN

Wenn Michel Friedman in seiner Sendung kurz Luft holt, die Hand vom Arm seines Gastes nimmt und ihn ausreden lässt, dann ist das das Werk von Marion Paulsen. Denn sie ist die Herrscherin über insgesamt neun Polittalks im deutschen Fernsehen, „Talk in Berlin“ zum Beispiel, „Grüner Salon“ (beide auf n-tv) und „Friedman!“ (ARD) bzw. „Vorsicht! Friedmann“ (HR).

Während der Sendungen sitzt Marion Paulsen am Rand. Direkt neben der großen Stoppuhr, die die Minuten bis zum Ende der Diskussion rückwärts zählt. Auf einem Holzstuhl, zwischen den anderen Zuschauern im Fernsehstudio. Sie ist zierlich und akkurat gekleidet. Sie zu übersehen, wäre leicht. Aber ihr Rücken ist gerade, ihr Blick wach und ruhig. Sie thront. Sie ist die Königin über ein kleines Reich, das Talkshow heißt. Den Kabeljungen dirigiert sie (der folgt dem Kameramann allzu aufrecht). Die Frau, die aufspringt und in der Live-Sendung auf Friedman zuläuft, hat sie schnell im Griff. Sie faucht, „warum wird die Frau nicht rausgezogen“, da ist sie schon weg.

Manchmal streckt sie ihren Rücken und sucht den Blick von Michel Friedman. Und obwohl der so hastig redet und so penetrant fragt wie immer – auf wundersame Weise schaut er immer zurück, wenn sie es will. Die Gäste atmen kurz auf. Dann macht sie ein Zeichen, und Friedman attackiert wieder.

Manchmal ändern sich im Verlauf ihrer Sendungen die politischen Konstellationen: Der Grüne Rezzo Schlauch plötzlich eins mit Wolfgang Gerhard von der FDP – und gegen die Vertreterin der Gewerkschaft. Das findet Marion Paulsen köstlich. Überraschungen sind gut, damit kann eine Talkshow Schlagzeilen machen. Gut ist auch, wenn Leute offen ihre Meinung sagen, ein seltener Fall, sagt Paulsen. Gut ist ebenfalls, wenn ein Gast wütend wird – dann „funktioniert“ er.

Zur Generalkritik kommen einmal pro Woche die 22 Redakteure zusammen, die die neun Talkshows betreuen. Sie reden über die Gäste, die sie in die Shows eingeladen haben, Figuren, die sie manchmal richtig gesetzt haben und manchmal nicht. „Von dem hatten wir uns mehr versprochen“, heißt es dann über einen Mann, der sich zierte, den typischen, patriarchalischen Mittelständler zu geben. Eine Ministerin war leider „blutleer“, dabei: „Sie ist gut, wenn sie sich aufregt“, sagt Marion Paulsen. Neue Figuren sind immer ein Risiko. „Wir wollten mal einen neuen Kopf ausprobieren“, entschuldigt sich eine Redakteurin. Der Kopf hatte wenig gesagt, und das auch noch ausweichend und unwirsch: Der Kopf wird künftig nicht mehr eingeladen.

Für eine der nächsten Sendungen mit dem Titel „Jammertal Deutschland“ wird jemand gesucht, der das Jammern personifiziert. Es fallen Namen. Aber Marion Paulsen will, „dass wir uns das noch mal überlegen.“ Sie will vor allem nicht, dass man erfährt, wie die Talkshowmacher über ihre Gäste reden. Auch ihre Konferenz ist diesmal Show. Nicht so perfekt inszeniert wie für die Kamera, aber auch kein natürliches Berufsritual. Alle tun so, als ob sie spontan etwas zu sagen hätten. Aber jedes Wort scheint gut vorbereitet.

Für Marion Paulsen ist das wahrscheinlich „solide“. Sie setzt auf Vorbereitung und gute Planung. 2000 kam sie vom parteipolitisch eher festgelegten „Report München“ des Bayerischen Rundfunks zum Holtzbrinck-Unternehmen AVE, weil es „stabil und erfolgreich läuft“. Und weil ihr hier eine eigene Chefebene eingerichtet wurde, für das operative Geschäft mit dem Talk.

Es ist ein Spitzenposten, den sie hat. Er ist trotzdem Dienstleistung, ein Hintergrundjob. Marion Paulsen bereitet vor und arbeitet den Stars zu. Michel Friedman sagt, Paulsen sei die Frau, die dafür sorgt, dass er gut schlafen kann. Ansonsten müsste er die Zeitungen alle selbst lesen. Sie formuliert mit: Soll man die Gewerkschaften als „Interessenvertretung“ bezeichnen? – Etwas lahm. Besser vielleicht: „neue Heimat“. Sie warnt. Zum Beispiel vor bestimmten Fragen, der Gast werde dann dies und jenes sagen, „den Sermon haben wir alle schon mal gehört“. Sie begleitet die Gäste. Zur Maske, zum Fernsehstudio und zum Umtrunk danach.

„Was für einen Hund haben Sie denn“, fragt sie die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, die nicht aus dem Taxi steigen will, weil der Fahrer auch passionierter Hundehalter ist. Mit den braun Gebrannten wird über den Urlaub, mit denBlassen über das Wetter geredet. Engelen-Kefer legt Paulsen kurz vor ihrem Auftritt in „Talk in Berlin“ einen Artikel in die Maske. Die Frankfurter Rundschau findet, die Gewerkschaften sollen in die Medienoffensive gehen: „Das kann sie ja gleich mal machen.“

Rainer Brüderle von der FDP spielt seine Rolle und wird mit Applaus belohnt. Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) gibt glaubwürdig den ruhigen Mann aus dem Osten. Engelen-Kefer sagt das, was sie immer sagt, Paulsen hatte sie schon vorher parodiert. Auch das Publikum ist der DGB-Frau nicht hold, nur die mitgebrachten Pressesprecher klatschen kräftig. Eigentlich sind auch Stolpe, Engelen-Kefer und Brüderle nur Pressesprecher ihrer selbt, auch wenn Letzterer sagt: „Die Rituale und das Gequake gehen immer weiter.“ Und beklatscht wird.

Für Marion Paulsen ist das Unterhaltung. Nicht als „Bäh-Wort“, nichts Verwerfliches. „Brecht wollte aufklären und erziehen und hat erkannt, man muss die Leute unterhalten, sie müssen dranbleiben wollen, nur dann lernen sie was.“ Die Talkshows brächten eine Diskussion in kurzer Zeit ’rüber, sagt Paulsen. Das neue „Ersatzparlament“ seien sie keinesfalls. Immerhin Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hatte das einmal so gesagt. – „Interessanterweise in einer Talkshow“, sagt Marion Paulsen.