Nur der Normalfall

Arminia Bielefeld verlässt nach dem 0:1 gegen Hannover die Bundesliga und steht vor einer schwierigen Zukunft

BIELEFELD taz ■ Seinen letzten Abgang hatte sich Mamadou-Lamine Diabang womöglich schlimmer vorgestellt. Der mit zehn Saisontoren erst zum Publikumsliebling aufgestiegene und dann nach Bekanntgabe seines Wechsels zum VfL Bochum in Ungnade gefallene Angreifer verließ, von einem halben dutzend Ordnern flankiert, die Katakomben der Alm. Doch die Bielefelder waren bereits nach Hause gegangen oder hatten sich zum Frustzechen auf das Volksfest Leinewebermarkt begeben. Arminia Bielefeld muss nach dem 0:1 gegen Hannover 96 die Bundesliga verlassen, aber weil es bereits der sechste Erstligaabstieg der Klubgeschichte ist, scheint es, als habe sich bei den Anhängern eine gewisse Katastrophenroutine eingestellt. Und so blockierte niemand den Mannschaftsbus, und kaum einer schrie seine Wut und Enttäuschung in den Abendhimmel hinaus. Stattdessen sangen sie den alten Gassenhauer „Arminia, wie schön sind deine Tore“. Selbstironie ist in Bielefeld eine Überlebensstrategie.

Die Mentalität, den Abstieg eher als Normalfall denn als Apokalypse zu empfinden, haben offenbar auch die Spieler verinnerlicht. Der Torwart Mathias Hain weinte, aber nur ein bisschen, der Großteil der Mannschaft nahm die Degradierung hin, als hätte sie ein irgendwie folgerichtiges und gerechtes Schicksal ereilt. Vielleicht waren sie aber auch einfach nur zu erschöpft, um angemessen zu trauern. „Am Ende hatte die Mannschaft nicht mehr die Kraft, um erfolgreich zu sein“, resümierte Trainer Benno Möhlmann, und Kapitän Bastian Reinhardt klagte: „Ich kann nicht weinen, weil ich keinen Tropfen Wasser mehr in mir habe.“

Es heißt, in jeder Saison steigt am Ende eine Elf ab, die nicht mehr damit gerechnet hat. Oberflächlich betrachtet, sind es diesmal die Arminen. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Denn als in den letzten Wochen die Energiereserven zur Neige gingen, verschwand bei den Bielefelder das Zutrauen, und bereits vorher latent präsente Zweifel am eigenen Leistungsvermögen kamen wieder hoch. „Wir haben für unser Spiel Tribut zahlen müssen“, schwant es Ansgar Brinkmann, Tribut dafür, sich lange „auf kämpferisch und läuferisch hohem Level“ gegen technisch überlegene Gegner zur Wehr zu setzen, wie es Möhlmann formuliert.

Angesichts der Dramaturgie des Saisonverlaufs ist der Abstieg allemal unglücklich, eine sportliche Überraschung aber ist er nicht. Und so hat auch der verzweifelte Vorstoß des Keepers Hain nicht geholfen, mit gezielten Manipulationsvorwürfen die bereits abgestiegenen Nürnberger für deren letztes Spiel gegen Leverkusen zu motivieren. Weil sie sich in Bielefeld nicht einmal mehr selbst helfen konnten. Wäre der Club am Samstag so leblos aufgetreten wie die Arminia, es wären in Ostwestfalen mit Sicherheit böse Worte gefallen.

So aber eint Bielefelder und Nürnberger, dass es für beide der sechste Abstieg ist und dass beide vor einer schwierigen Zukunft stehen. „Ich habe oft genug gesagt, dass Arminia noch mindestens ein Jahr in der ersten Liga gebraucht hätte“, sagt Geschäftsführer Roland Kentsch. In der Zweiten Liga wird sich der Etat von bisher 22 Millionen Euro halbieren, es gilt Lizenzauflagen zu erfüllen und Löcher zu stopfen. Neben den ablösefreien Diabang und Wichniarek (zu Hertha) wird Bielefeld um weitere Transfers nicht herumkommen, doch die Sorge um die Qualität des Kaders treibt Kentsch noch am wenigsten um: „Spieler gibt es wahrlich genug auf dem Markt.“

Insofern wird es für den Absteiger in den nächsten Wochen darauf ankommen, eine solide Finanzierung auf die Beine zu stellen. Mögliche Geldquellen neben Spielerverkäufen sind Bankbürgschaften, ein erweitertes Engagement des Vermarkters Sportsfive sowie die Veräußerung der Namensrechte am Stadion Alm. „Wir werden an vielen Fronten arbeiten müssen“, sagt Kentsch. Trainer Möhlmann, der nach Lage der Dinge im Amt bleiben wird, will einen sofortigen Wiederaufstieg erst als Ziel ausgeben, „wenn wir die entsprechende Mannschaft dazu haben“. Bald dürfte auch den Fans dämmern, dass es bis zum nächsten Comeback ein paar Jahre länger dauern könnte. JENS KIRSCHNECK